Gabe des Blutes
Stirn. Während sich sein Rudel bester Gesundheit erfreute und entsprechend viel Elan hatte, konnte er das von seinem kleinen Findelkind nicht behaupten. Sie war müde, und es fiel immer schwerer, es zu verbergen.
» Kébé «, sagte er, während er sich von seinem Platz an der Wand abstieß, um auf sie zuzugehen. Sie blickte auf, und ihr Lächeln wurde verhalten. Verdammt, er hasste das. Wahrscheinlich hatte er es sogar verdient, nachdem er sich am Morgen so überheblich gebärdet hatte. Doch fairerweise musste gesagt werden, dass er es getan hatte, um sie zu beschützen. Er wollte, dass es ihr gut ging. Er wollte, dass sie gesund wurde.
Er wollte sie in ganz selbstsüchtiger männlicher Ehrlichkeit. Basta. So sehr, dass er das Gefühl hatte, in einem zu kleinen Käfig gefangen zu sein. Er hatte es sich auferlegt zu warten, bis es ihr wieder gut ging, und es war die richtige Entscheidung gewesen, doch das bedeutete nicht, dass er innerlich nicht nach ihr schrie. Herrgott noch mal, als er sie strotzend vor Energie und voller Pläne in den Gemeinschaftssaal hatte kommen sehen, war das für ihn dasselbe, wie es für andere Männer ein Striptease gewesen wäre. Und weil er nicht sein Gehirn zum Denken benutzt hatte, hatte er sich wie ein Idiot benommen und sie verärgert. Diese Verärgerung hatte eine Erinnerung an irgendein schreckliches Erlebnis aufgerührt, und jetzt wollte sie ihm nicht vertrauen aus Angst, dass er sie als zart und zerbrechlich ansehen könnte. Was sie im Grunde ja auch war. Im Augenblick jedenfalls.
Doch das hieß nicht, dass er sie auch für schwach hielt. Sie wusste nicht, dass er und Darcio durch ihr Körpergedächtnis gereist waren. Sie hatten herausgefunden, dass sie in der Wildnis überlebt hatte. Das genügte als Beweis dafür, dass sie eine Überlebenskünstlerin war. Sie besaß auch besondere Fähigkeiten, ’pathisch gesprochen. Es wäre lächerlich, sie für schwach zu halten.
Unsicher, was er tun sollte, hatte Reule die Informationen, die er mit Darcios Hilfe gesammelt hatte, für sich behalten. Doch er ahnte, dass es unehrenhaft wäre, es weiterhin zu verheimlichen. Er sollte ihr sagen, was er wusste. Das bedeutete, dass er Darcios besondere Begabung erwähnen müsste, etwas, was außerhalb des Rudels eigentlich niemand wusste, doch er spürte, dass Darcio ihr vertraute. Das Problem war, dass sie nicht wussten, wie sie reagieren würde. Mystique würde es ihm vielleicht übel nehmen, dass er die Informationen vor ihr geheim gehalten hatte. Oder es würde wie an diesem Morgen eine Kette von Erinnerungen auslösen, und er befürchtete, das könnte die Ursache für noch mehr Schmerz und Furcht sein.
Während er alles überdachte, trat er zu ihr und streckte ihr die Hand hin.
» Kébé , in einer halben Stunde gibt es Abendessen, und du willst dich bestimmt frisch machen und dich umziehen. Genau wie deine Gefährten«, fügte er hinzu, während das Rudel ihn mit kaum verhohlenem Vergnügen anblickte. Doch wichtig war für ihn nur, dass sie ohne zu zögern ihre Hand in seine legte, und dankbar schloss er die Finger um ihre.
»Rye, bitte sorg dafür, dass Stebban hier für die Nacht ein Bett bekommt und auch einen Diener, der sich um den Kamin kümmert, damit er sich keine Erkältung holt.«
»Keine Sorge, Mystique. Wenn es etwas gibt in dieser Burg, das kein Sánge zulassen wird, dann ist es, dass sich jemand eine Erkältung zuzieht. Morgen sorgen wir für eine Elektroheizung in deiner Krankenstation.«
»Wirklich?« Sie sah erfreut und dankbar aus. »Das wäre wundervoll.«
»Das ist keine große Sache«, sagte Reule kurz. »Komm, Kébé , bevor Para der Schlag trifft. Sie geht in deinen Gemächern auf und ab, während wir reden.«
Sie lachte, und Reule zog sie dicht an seine Seite, als sie auf den Gang traten. Er spürte die wiegenden Bewegungen ihres Körpers neben seinem, und es machte ihn ganz verrückt. Er schaffte es bis zur Treppe, dann packte er sie und zog sie in eine dunkle Nische darunter. Sie quiekte erschrocken auf, als sie plötzlich gegen die steinerne Wand gepresst wurde.
»Reule!«, keuchte sie, und ihr Brustkorb hob und senkte sich an seinem, während er sich zu ihr hinunterbeugte, um ihren Mund zu verschließen. Sie gab ihm augenblicklich nach und seufzte, während er sie schmeckte und ihr gleichzeitig Lust bereitete. Sie war so süß wie immer, und die schwache Note von Wein, den sie getrunken hatte, war eine ungewohnte Zugabe.
Reule war blitzartig verloren
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