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Gabe des Blutes

Gabe des Blutes

Titel: Gabe des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacquelyn Frank
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schien.
    Etwas weniger intensiv spürte sie auch den kranken Geist des Vaters. Doch das war nur eine mentale Unausgewogenheit. Ihr wurde klar, dass dieser Mann sich wohl nie vom Verlust seines Sohnes erholen würde, wenn nicht etwas unternommen wurde, um ihm zu helfen. Sie wusste nicht, was sie sonst für ihn tun konnte, als zu versuchen, sein Kind zu retten. Sie blickten mit einer Mischung aus Misstrauen und Hoffnung zu ihr auf. Sie hätte über den Gegensatz gelacht, wenn sie nicht gewusst hätte, wie ernst die Lage war.
    Sánge oder nicht, sie war gekleidet wie eine Dame und wie ein Gast des Primus, und das wurde deutlich an der Art, wie sie ihre Hüte festhielten, als sie aufstanden, um sie zu begrüßen.
    »Bitte, bleibt sitzen«, sagte sie sanft und hob beschwichtigend die Hände. Sie schienen einen Augenblick zu zögern, doch sie setzte sich ebenfalls, und sie folgten ihrem Beispiel. Sie glaubte nicht, dass sie es gewohnt waren, mit einer Dame von Rang an einem Tisch zu sitzen, und sie schienen sich unbehaglich und fremd zu fühlen. Das war eine neue Erfahrung für sie. Reule schien jeden Sánge unter seiner Herrschaft wertzuschätzen, bis zu diesem einfachen Bauern, ohne einen wirklichen Klassenunterschied zu machen, wenn es um den persönlichen Umgang ging. Umgekehrt schien das für die einfachen Mitglieder des Stammes nicht so einfach zu sein.
    »Bitte sagt mir, warum ihr gekommen seid«, ermunterte sie die beiden freundlich.
    Beide Männer starrten sie mit großen erschrockenen Augen an.
    »Ich kann euch nicht helfen, solange ich nicht weiß, was los ist«, bemerkte sie und hielt deren Blick stand, damit sie nicht irgendwie auf den Gedanken kamen, dass mit ihrer seltsamen Augenfarbe etwas nicht stimmte.
    »Es muss wohl Blutfieber sein«, sagte der Bauer schroff. »Es zehrt meinen Jungen aus. Ich dachte, als fremde Ärztin und so wisst Ihr vielleicht mehr als ein Sánge-Arzt.«
    Mystique stellte das mit der Ärztin nicht klar. Sie konnte sich durchaus vorstellen, dass sie in ihrem früheren Leben Ärztin gewesen war. Sie wandte sich dem jungen Mann zu und lächelte ihn freundlich an, doch diesmal senkte sie die Lider, damit ihre Augen nicht so einschüchternd waren.
    »Wie heißt du?«
    »Stebban, Mylady«, sagte er und hob das spitze Kinn, um zu zeigen, dass er keine Angst vor einer Frau hatte, auch nicht vor einer Fremden. Mystique musste lächeln. Sie bemerkte sein strähniges braunes Haar und die stumpfen Augen, die eigentlich himmelblau hätten funkeln müssen. Trotz seiner Krankheit war er gewaschen und gepflegt. Seine Haut war fahl unter ihrer natürlichen rotbraunen Farbe.
    »Mein Name ist Mystique«, sagte sie freundlich und streckte ihm die Hand mit der Handfläche nach oben entgegen. »Darf ich deine Fingernägel sehen, Stebban?«
    Der Junge zögerte kurz, während er seinem Vater einen Blick zuwarf. Der ältere Mann nickte grimmig, so als würde er ihm erlauben, Gift zu nehmen. Mystique konzentrierte sich einfach auf die Hand, die durch die Krankheit fast so klein war wie ihre. Stebban legte seine Handfläche auf ihre, und sie konnte die Kälte spüren. Sie sah die gelbliche Färbung seiner Fingernägel, ein Anzeichen dafür, wie lange er schon krank war, und die bläulichen Spuren darunter wiesen auf etwas Gefährlicheres hin. Sie umschloss seine kalte Hand mit ihrer warmen, was einen wohligen Schauer in ihm auslöste. Die Sánge mochten keine Kälte. Sie hatte das erfahren von …
    Sie erinnerte sich nicht mehr, also konzentrierte sie sich ganz auf ihre Aufgabe. »Gerätst du leicht außer Atem, Stebban? Hast du Appetit? Wenn du dich bewegst, ist es dann so, als würdest du bergauf gehen, auch wenn es eben ist?«
    Er beantwortete alle ihre Fragen, wobei sie von sich selbst überrascht war, wie gezielt und selbstverständlich sie ihre Untersuchung durchführte. Sie zog ihn immer näher zu sich hin bei jeder Frage, bis er vor ihr stand und sie ihn berühren konnte. Sie stellte ihm weitere Fragen, um ihn abzulenken, während sie mit den Fingern über seinen Hals, seine Achselhöhlen und hinab zu seinen Handgelenken strich. Sie war sitzen geblieben, um weniger bedrohlich zu wirken. Deshalb zögerte er auch nicht, als sie ihn bat, sein Hemd auszuziehen. Sie musste sich zusammenreißen, als sie die Schwellungen an seinen Rippen und seinen Hüften sah, auf denen seine Hose kaum Halt hatte. Jeder Knochen stand deutlich hervor.
    »Danke, Stebban. Zieh dein Hemd bitte wieder an und setz dich eine Weile

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