Gabriel
kapitulierte sie, oder Gabriel würde sterben. Plötzlich wurde sie von heißem Zorn erfasst. So verdammt satt hatte sie es, dass Gabe ständig von diesen teuflischen Schießeisen getroffen wurde. Wie oft, hatte Azrael gesagt, war das schon passiert? Und da stand schon wieder ein Adarianer und wollte auf ihn schießen. Frustriert schrie sie auf, krallte ihre Finger um das Armband und riss es sich, von einem grellen Blitz begleitet, vom Handgelenk. Im selben Moment spürte sie ihre Energien anschwellen, die Entfesselung ihrer Magie, die unerreichbar für sie gewesen war, solange sie das goldene Armband getragen hatte.
Mitchells schwarze Augen sprühten Funken, ein grausames Lächeln voller Genugtuung umspielte seine Lippen. »So ist es besser«, lobte er und senkte die tödliche Waffe.
Es drohte Juliette das Herz zu zerreißen. Vor ihrem geistigen Auge zogen Bilder vorbei. Gabriel im Meereswind vor ihrer Terrassentür, Salzkristalle im Haar. Gabriel ihr gegenüber am Frühstückstisch, während er ihr lachend eine Geschichte erzählte. Gabriel, der sich herabneigte und sie leidenschaftlich küsste, innig mit ihr verschmolzen. Gabriel, ihr Erzengel.
»Nicht mehr, meine Kleine.« Mitchell schlenderte auf sie zu. Hoch aufgerichtet blieb er vor ihr stehen und umfasste ihr Kinn. Auf ihren Wangen glänzten Tränen. »Du hast mir dein Wort gegeben. Und um sicherzugehen, dass du es niemals brechen wirst …« Er ließ ihr Kinn los, hob die Waffe und zielte auf Gabriel.
»Nein!«, schrie Juliette. Ehe sie wusste, was sie tat, sprang sie vor. Gabriel durfte nicht sterben, durfte nie wieder von einer Splitterwaffe getroffen werden. Nicht, wenn sie es verhindern konnte. Mit eingezogenem Kopf rammte sie Mitchell so mit ihrer Schulter, dass der überraschte Adarianer das Gleichgewicht verlor und mit ihr auf den Klippenrand zutaumelte. Hastig packte sie seinen Arm. Ein Schritt, noch einer. Beim drittem zerbröckelte das Gestein unter ihren Stiefeln, die Klippe gab nach.
Juliette schloss die Augen, als sie den Boden unter den Füßen verlor. Das hatte sie schon einmal erlebt. An dieses Gefühl erinnerte sie sich. Die Zeit verlangsamte sich. Fast blieb sie stehen.
Juliette spürte, wie Mitchells Gewicht an ihr zerrte. Auch er stürzte hinab. Sie ließ ihn los. Bald würde es vorbei sein. Ein paar kostbare Sekunden blieben ihr noch, eine Ewigkeit, genug Zeit für ein letztes überwältigendes Gefühl.
Gabriel, ich liebe dich. Vielleicht würden sie einander irgendwann wieder begegnen. Weil sie ihn liebte. Immer werde ich dich lieben.
33
Was konnte Gabriel dazu veranlassen, einem Mann wie dem Adarianer, den er gerade bekämpfte, den Rücken zu kehren? Ein Gedanken. Im Hintergrund seines Bewusstseins. Er fuhr herum. Da sah er sie über den Klippenrand stolpern, Juliette, mit wehendem Haar, an einen Feind geklammert, um ihn mit sich zu reißen.
Aus den Tiefen seiner Seele drang ein Schrei. Schneller als je zuvor bewegte er sich, stürmte zum Klippenrand, folgte der schönen jungen Frau, der sein Herz gehörte.
Er erreichte sie nicht rechtzeitig genug, um sie aufzuhalten. Aber sein Körper, getrieben von Liebe und der Angst vor einem unerträglichen Verlust, stürzte hinter ihr ins Leere. In seinem Geist blieb nichts außer einem einzigen Gefühl. Und dieses Gefühl riss ihn entzwei, lieferte ihn hilflos einem ungewissen Schicksal aus wie nichts anderes in seinem bisherigen langen Dasein.
Eine Lebensspanne verstrich – nein, mehrere –, bis er nahe genug an sie herankam, um sie zu berühren. Er betrachtete ihr schönes Gesicht, die gesenkten Lider, und die Welt ringsum schien sich aufzulösen. Neben ihnen verschwamm die Felswand, der Wind peitschte Juliettes Haar, und Gabriel umfasste ihr Handgelenk. Eine letztes Beisammensein. Wenn sie diesmal den Tod fanden, würden sie gemeinsam sterben.
Nun hob Juliette die Lider. Verwirrt sah Gabriel ihre Augen wie Juwelen strahlen, so schön, dass es ihm buchstäblich den Atem verschlug. Doch das spielte keine Rolle, gleich würde die Welt ohnehin untergehen.
Und dann spürte er Juliettes Hand auf seiner Wange, so warm und weich und rein. »Ich liebe dich«, formten ihre Lippen. Die Worte hörte er nicht, denn der Wind wehte sie davon, aber sie hallten in Gabriels Seele wider.
»Und ich liebe dich, Babe«, flüsterte er – ein Geständnis, das er nie zuvor ausgesprochen hatte.
Jetzt, dachte er, jetzt werden wir auf den Felsen aufsehlaßen. Es ist vorbei. Er würde den Sturz
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