Gabun - Roman
erlebt hatte, aber ich fühlte mich nicht unbedingt schlecht. Ich hörte meine Schritte auf der Piste, auf der meine Stiefel Fußspuren hinterlassen würden, die so lange blieben, bis der Wind oder ein Regen sie auslöschte. Ich drehte mich nicht um, ich würde nicht verfolgt werden. Der Mond war aufgegangen. Er beleuchtete die weite, wellige Landschaft, die von niedrigen Büschen bedeckt war, so weit der Blick reichte. Gut möglich, dass es hier Löwen gab. Ich dachte keinen Moment daran, dass mir von ihnen Gefahr drohen könnte. Ich fasste nach dem Affenschädel, der in meinem Hemd steckte. Fühlte seine glatte Oberfläche, den wie polierten, runden Knochen. Die Ameisen hatten alles weggenagt, was scheußlich daran gewesen war.
Man muss nicht ein zweites Mal in die Hölle. Ich hatte meine Lektion bekommen. In meinen Ohren war noch immer das Singen, das der Knall von De Vries’ Büchse verursacht hatte. Für das, was ich getan hatte, fühlte ich kein Bedauern, nur eine Art Entsetzen war tief in mir und die Erleichterung, diesem Entsetzlichen entronnen zu sein. Vielleicht hatte ich Schuld auf mich geladen, aber ich fühlte nichts. Ich fühlte mich nur leicht. Niemand kümmerte sich um mich, und mich selbst kümmerte wenig in dieser merkwürdigen Stunde unter dem Mond, der mir nun nicht mehr so abgewandt vorkam wie in den letzten beiden Tagen. Unbekümmert. So ging ich meiner Wege.
Etwas würde sich ergeben. Irgendwie kam ich weiter, ich würde jetzt einfach ein wenig Glück brauchen. Das hatte auch Felicité gesagt, als wir im Flugzeug über dem Urwald schwebten ohne eine Ahnung, wohin wir fliegen sollten. Sie jedenfalls war jetzt in Sicherheit, sie hatte Glück gehabt. De Vries würde sie in den »Park« zurückbringen. Und Wessing würde den in Ehren gefallenen Olson, der diesmal weniger Glück gehabt hatte, betrauern. Er würde ein paar Dosen Bier auf sein Wohl trinken.
Um mich, dachte ich, während ich Schritt für Schritt weiter durch den afrikanischen Sand ging in meinen Stiefeln aus einem Berliner Outdoor-Laden, um mich würden sich meine Gefährten – konnte ich sie so nennen? – natürlich auch Gedanken machen. Vor allem würde De Vries nach dem Abzählen seiner Diamanten feststellen, dass es nur noch elf waren. Sein Gewehr – das würde zu ihm zurückkommen, es würde ihn finden, daran zweifelte ich nicht. Es gehörte zu den Gegenständen, die in Wirklichkeit keine Gegenstände waren, ebenso wenig wie der Affenschädel, der mich noch immer begleitete, obwohl ich ihn nun eigentlich hätte loswerden können, jedenfalls wenn ich der magischen Logik folgte, die Felicité mich gelehrt hatte. Bis alles daran verwest ist, hatte sie gesagt, und das war ja nun der Fall. Die Ameisen hatten dafür gesorgt. Aber er hatte sich als ein gutes Versteck für die Diamanten erwiesen, und die wiederum wollte ich keineswegs loswerden.
Mein Gepäck war übersichtlich geworden. Ich hatte alles eingebüßt, Geldbörse, Ausweis und Scheckkarte, meine Reservekleidung. Außer dem Schädel besaß ich nur noch das zerfledderte »Herz der Finsternis«. Nicht eben viel, um meinen Weg zu machen. Da fiel mir Hans im Glück ein, der so dumm gewesen war, dass er alles weggegeben hatte. Aber dafür blieb das Glück an seiner Seite.
Zum Morgen hin wurde es kühler. Als ich einen der flachen Hügel erstiegen hatte, sah ich im Mondlicht vor mir die Straße liegen. Am östlichen Horizont zeigte sich bereits ein heller Schein. Ich nahm mir vor, bis zum Tagesanbruch zu warten, wenn wieder Lastwagen unterwegs waren. Dann würde ich mich von jemandem mitnehmen lassen. Ich würde dem Fahrer irgendetwas erzählen, mir würde eine passende Geschichte einfallen, und mit den drei apokalyptischen Reitern auf ihren Motorrädern brauchte ich nicht mehr zu rechnen.
Ich verbrachte zwei Stunden am Straßenrand. Mit der aufgehenden Sonne kam der Durst, aber ich hatte Glück. Der erste Lastwagen, er kündigte sich schon von fern an, mit einer mächtigen, von der aufgehenden Sonne rosa gefärbten Staubwolke, hielt an, als ich mich an den Straßenrand stellte und winkte. Die Windschutzscheibe spiegelte, ich konnte den Fahrer nicht erkennen. Ich ging um den Kühler herum, stieg aufs Trittbrett, das vom Nageln des Dieselmotors vibrierte, und öffnete die Tür.
Hinter dem Steuer saß eine Frau. Dreißig Jahre alt vielleicht, das krause Haar so kurz, dass es aussah, als trage sie eine schwarze Kappe. Drei Reihen Schmucknarben auf der Stirn, dazu eine Narbe
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