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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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müssen: Wen von uns würden wir zur Not aus dem Flugzeug werfen? Womöglich dachten sie, dass ich keine Chance gehabt hatte und bereits in ein Skelett verwandelt worden war. Leider hatte De Vries mich als Ameisenspezialisten nicht in seiner Beraterrunde. Ich hätte ihm gesagt, dass Treiberameisen so schnell wieder verschwinden, wie sie kommen, nach einer Stunde ist nämlich alles Fressbare gefressen. Ist man nicht mit aufgefressen worden, kann man die Sache als abgehakt ansehen.
    Ich warf noch einmal einen Blick nach oben, ich hoffte noch immer. Der Himmel blieb leer, alles, was man an Lichtern sah, war kosmischen Ursprungs. Kein Hubschrauber, der zurückkehrte. Ich war auf mich allein gestellt.
    Was würde Felicité jetzt tun, was Wessing oder De Vries? Ich überlegte, was wohl von Duvalle übrig geblieben war. Und was aus dem Schädel geworden war, dessen Inhalt mir nicht gleichgültig sein konnte.
    Jemand sagte etwas in meinem Kopf. »Mojo«, sagte er.
    Es war nicht weit bis zur Schule. Gerade einmal die Distanz des Kurzstreckensprints, den ich vor einer halben Stunde absolviert hatte. Ich sah hinüber. Alles dunkel, nirgends brannte Licht. Zwei von Duvalles Leibwächtern hatte ich sterben sehen. Die Scharfschützen im Hubschrauber hatten auf das Dach der Schule geschossen und wahrscheinlich auch getroffen. Duvalle selbst und der hässliche Rastamann waren den Treiberameisen ausgesetzt gewesen. Wer das Ganze überlebt hatte, würde sich davongemacht haben, übersät von Bissen. Meine Chancen waren nicht schlecht.
    Ich klaubte De Vries’ Gewehr aus dem Sand, hängte es mir um und ging los. Horchte genau auf verdächtige Geräusche. Wusste Duvalle über Treiberameisen so viel wie über das Alte Testament? Wahrscheinlich nicht. Jetzt konnte ich, einmal wenigstens, aus meinen biologischen Kenntnissen einen Vorteil ziehen. Ich hörte nur meine eigenen Schritte und die Grillen. Ab und zu flitzte ein Leuchtkäfer zwischen den Büschen hindurch, sonst herrschte eine Stille wie vor der Erschaffung des Menschen. Die Sterne standen, klar in den Himmel gestochen, noch immer an ihrem Platz, am Horizont leuchtete silbern eine Wolkenbank, dort wollte der Mond gerade aufgehen. Hell genug, um den Weg zu erkennen und auch den Schauplatz des Gefechts, an dem ich teilgenommen hatte. Ich war überzeugt davon, dass dort niemand mehr war.
    Als ich bei der Schule anlangte, graute mir davor, in das Gebäude hineinzugehen, aber nachdem ich eine Weile horchend am Eingang gestanden hatte, betrat ich schließlich den Flur und ging langsam weiter. Im Dunkeln konnte ich Olsons Umrisse ahnen, er lag noch immer dort auf dem Bauch, wie er hingestürzt war. Seine Kleider schienen vom Reißwolf zerfetzt worden zu sein. Ich hielt Abstand von seiner Leiche, ging an ihm vorbei und betrat das Klassenzimmer. Das Licht des aufgehenden Mondes draußen reichte, um den Schädel zu erkennen, der knochenweiß auf seinem Pult stand und mit leeren Augenhöhlen zu mir herüberstarrte. Hier herrschte der Tod. Überall der süße, stumpfe Geruch von Blut. Die Position des Dicken war mir bereits bekannt, auch der bezopfte Recke lag noch an dem Platz, an dem er gestorben war. Sein massiger Leib war auf die Seite gedreht, die Nieten an seiner Weste fingen das Licht. Ich mochte ihn mir nicht näher ansehen, ging an ihm vorbei, auf den Schädel zu. Ich wollte sonst nichts sehen und nichts tun. Nur schnell wieder hier heraus.
    Der Affenschädel leuchtete mir entgegen, er war so sauber, als habe man ihn frisch aus einer anatomischen Sammlung geholt, die Zähne wie gefasste Perlen in der grinsenden Fratze. Mojo. Die Ameisen hatten sich mit ihm befasst, und zwar gründlich. Sie hatten alles abgefressen, was nicht aus Knochen war. Ich nahm ihn in die Hand und schüttelte ihn. Es klapperte darin wie Murmeln. Ich schob den Schädel in mein Hemd.
    Als ich den Raum verlassen wollte, stieß ich an etwas, das meinen Stiefel hemmte, und bückte mich unwillkürlich danach. Es war Duvalles Gerte, sein Taktstock und Feldherrnstab. Ich beugte mich unter das Pult und sah ihn. Duvalle lag am Boden in einem Streifen Mondlicht, unter ihm eine dunkle Blutlache. Er hielt das Stöckchen noch immer in der verkrampften Hand. Ein tiefer Schnitt hatte seinen Hals halb abgetrennt. Das Zwielicht zeigte seine ausgefressenen Augenhöhlen. Die ehemals so saubere Uniform war mit Blut getränkt wie mit Teer. Mir wurde übel.
    Ich hastete, den Schädel im Hemd, durch das Klassenzimmer hinaus in den

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