Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
Vom Netzwerk:
Flur hinein, dort stolperte ich über Olsons Leiche. Ich musste mich an der Wand abstützen, sah nach unten und entdeckte, dass die Machete fehlte. Jemand hatte sie aus Olsons Nacken gezogen. Innerhalb einer Zehntelsekunde leuchtete mir der Zusammenhang mit dem Schnitt im Hals von Duvalle ein. Ich erstarrte zu Stein. Da hatte einer die Gunst der Stunde zu nutzen gewusst. Einer, den die Treiberameisen nicht zur Strecke gebracht hatten. Mir war kalt, trotz der Hitze. Ich wusste nicht, wo er war. Vielleicht hatte ich noch eine Chance davonzukommen, ohne dass er mich sah. Ich nahm mich zusammen.
    Aber er erwartete mich bereits. Kaum zur Tür hinaus, prallte ich zurück. Ein Motorradscheinwerfer flammte auf, der Motor wurde angelassen. Das Licht des Scheinwerfers nagelte mich an die Wand der Schule wie eine ertappte Motte. Mein Herz flatterte. Ich wusste, wer auf der Maschine saß. Wer den Angriff der Ameisen überstanden hatte mit der Schlauheit eines Anthropoiden, wer Duvalle massakriert hatte, weil er ihm nicht mehr aus der Hand fressen wollte. Und wahrscheinlich die Kriegskasse in seine Motorradtaschen gesteckt hatte. Der Rastamann hatte abgewartet, so wie ich, um sich den Rückzug frei zu halten.
    Der Scheinwerfer bewegte sich, das Motorrad fuhr los. Achtzig Meter, vielleicht siebzig. Kein Schuss fiel. Seine Waffe war die Machete. Dieselbe, die er Olson ins Genick geworfen hatte, mit der er meine Hand abhacken wollte, die Felicités Kleider zerschnitten hatte. Der Reiter mit dem Schwert.
    Er würde das Gewehr haben wollen, schoss es mir durch den Kopf. Ich riss es von der Schulter, schon halb bereit, es ihm auszuliefern, ein Reflex aus der Kiste meiner immer bereiten Servilität. Ich fühlte das Gewicht der Waffe in meinen Händen, den kühlen Stahl durch das Leder des Futterals. Das Motorrad pflügte durch den Sand, der Umriss des Reiters kam auf mich zu, die Konturen vom Mondlicht poliert, das schwarze Totenkopfbanner flatterte, verdeckte die hellen Wolken am Rand des Horizonts.
    Ich stand mit dem Rücken an der Wand, an der Wand einer zerschossenen Grundschule, und benahm mich wie ein Lamm, das auf den Schlächter wartet. Dieser Reiter würde mir für das Gewehr nicht dankbar sein, der Letzte der drei, nein, das würde er nicht. Blut und Tod. Ich riss die Doppelbüchse aus dem Futteral. Dreißig Meter. Keine Zeit mehr, um zu prüfen, ob die Patronen noch drin waren, mit denen der Stutzer es geladen hatte, in der Kneipe von Trouville, um den Jungen zu erschrecken, dessen Name Bruno war. Nicht der richtige Umgang mit einer Jagdwaffe, auf Menschen zu zielen. Aber in mir war keine Angst mehr, sondern Hass. Ein Rest flüssige Seele ließ meine Hände zittern. Zweimal ein »Klick«, die Hähne rasteten ein, das Scheinwerferlicht ließ die eingravierten Elefanten aufglänzen. Thirty Yards, es war weniger.
    Ich hob das Gewehr, hielt direkt auf das heranbockende Motorrad, ein Stück über den Scheinwerfer, und gewärtig, vielleicht nur ein weiteres Klicken zu hören, mit dem mein Schicksal vollends besiegelt gewesen wäre, drückte ich ab. Der enorme Knall riss ein Loch in die Nacht, das den Himmel aufschlitzte bis hinüber zum Horizont, und der Rückstoß nagelte mich gegen die Wand. Das Motorrad ging mit zersplittertem Scheinwerfer in einer Staubwolke zu Boden, die ich nicht sehen, aber spüren konnte, weil der Dreck eine Sekunde später auf mich herunterregnete.
    Zehn Meter. Vor mir tuckerte es am Boden mit blindem Zyklopenauge, das Gestänge der Maschine glänzte. Sonst rührte sich nichts. Die Schulter tat mir weh, in meinen Ohren pfiff es. Ich zwang mich hinzugehen, das Gewehr hielt ich an der Hüfte, den Finger am Abzug. Der Motor tat noch ein paar Schläge, dann ging er aus, das Hinterrad machte eine Drehung, stand still. Es stank nach Benzin und heißem Öl. Unter der Maschine sah ein einzelner Arm hervor. Kein Kopf, kein Rumpf, nur ein Arm, die Hand zur Klaue gekrümmt. Und die Machete lag da, einen Meter entfernt, der geschliffene Stahl glänzte auf dem Sand. Das genügte mir, ich kannte die Wirkung des Gewehrs.
    Ich ging zurück, hob das Futteral vom Boden auf und schob das Gewehr hinein. Stand da, das Gewehr in der Hand, und überlegte, einen Augenblick nur. Dann lehnte ich De Vries’ Büchse an das zertrümmerte Motorrad und ging davon, ohne mich noch einmal umzusehen.
    Ich ging durch die Nacht, unbehelligt. Mein Verstand war vielleicht ein wenig angeknackst durch das, was ich in den letzten zwei Stunden

Weitere Kostenlose Bücher