Gabun - Roman
seinem gefüllten Teller. Vermutlich war er, wie Wessing, ein Anhänger der Whisky-und-Curry-Diät.
Wessing vertrat die Auffassung, in den Tropen sei Wein nicht angebracht, man schlafe schlecht danach. Bier oder Schnaps hätten sich bewährt, man sehe das an den Engländern, die hätten es hundert Jahre lang praktiziert, und die meisten von ihnen hätten es überlebt. Dazu scharfes Essen, viel Fleisch, möglichst wenig Gemüse. Das, dachte ich, sollte Frau Dr. Decker nicht zu Ohren kommen, die vor einer Flasche Mineralwasser an der Tafel hockte. Mit ihren siebzig Jahren sah sie so dürr und zäh aus wie Tutanchamun als Mumie.
Fox nahm den Faden wieder auf. Es ging nun nicht mehr um das Fahrrad an sich, er erzählte vom »Ironman« in Hawaii, vor zwei Jahren war auch er dabei gewesen.
»Ich war da gerade vierzig geworden und wollte es noch mal wissen«, sagte er, und mein Gehirn bot sich gleich an, diesen Satz auszuloten: Was wollte er wissen, und welches »Es« war gemeint? Ich zog sofort die Notbremse, lächelte stattdessen Frau Dr. Decker an, die gerade in meine Richtung schaute, und hob mein Glas. Sie erwiderte die Bewegung mit ihrem Wasser, trank aber nicht, sondern stellte das Glas wieder auf den Tisch, dazu musterte sie mich, nicht unfreundlich, eher – klinisch, würde ich sagen.
Fox führte aus, dass er beim »Ironman« nicht gewonnen habe, natürlich nicht, da gab es diese Technofaschisten mit ihren Superbikes, und es gab, man müsse ehrlich sein – er schüttelte den Kopf in Demut –, einfach bessere Männer. Aber dabei sein, darum gehe es.
»Ich muss immer wieder an meine Grenze gehen, das ist wie … ähm …« Fox blieb wieder hängen.
Oda Giuliani schlug »Gier« vor, nein, das war es nicht. Zusammen kriegten sie es dann hin. Genau, »Sucht« war gemeint. Nach diesem letzten Bekenntnis wirkte Fox erschöpft und schwieg.
Ich trank noch einen Schluck Wein und schaute zu ihm hinüber. Seine gestikulierenden Hände, sein Abenteurergesicht, leider von einem Klobrillenbart entstellt, aber dafür standen ihm die grau durchwirkten Locken. Er erinnerte mich im Kerzenlicht jetzt gerade stark an meinen Chemielehrer, der nicht begriff, dass sich in unserer Klasse niemand für die Redoxreaktion erwärmen konnte.
Ich schob mir ein Stück von dem Red Snapper in den Mund, Ze Zé hatte Ingwer dazugetan, es schmeckte ausgezeichnet. Für Frau Dr. Decker hatte er ein Gebinde aus dünn geschnittener Rohkost gezaubert, das sie sehr langsam verzehrte, und ich musste an die Schildkröte denken, die ich mir als Kind ertrotzt und geduldig mit Tomatenscheiben gefüttert hatte, bis sie mich in den Finger biss. Wir hatten sie in einer Kiste im Keller gehalten, wo sie einen strengen, fremden Geruch verursachte. Sie starb im ersten Winter, weil wir vergessen hatten, sie in den Kühlschrank zu setzen. Verhungert, meinte der Tierarzt, sie habe eben keinen Winterschlaf gehabt. Verantwortung übernehmen, dachte ich. Bei einem Tier kann man das üben, später ist man sein eigenes Problem, aber wann ist später?
Der Wein begann mir in den Kopf zu steigen, während die Zikaden ihre Flügeldecken knarren ließen, nach Sonnenuntergang taten sie es noch aggressiver, gemessen an ihrer Größe konnten sie mehr Lärm machen als eine Motorsäge. Die Jasminzweige in den Vasen schimmerten cremeweiß, von Windlichtern angestrahlt. Ich spürte Felicités Gegenwart an meiner rechten Seite. Wie eine extra Wärmelampe, dabei hatte es bestimmt noch dreißig Grad. Ihr Parfum stieg mir in die Nase, ein Holzgeruch, darin feine Duftspuren von ihrem Schweiß. Jeder Mensch hat angeblich ein eigenes Pheromonmuster. Die ältesten Signale der Lebewesen, viel älter als andere Kommunikationsformen, unbewusst wahrgenommen und unterhalb der Bewusstseinsschwelle blitzschnell decodiert. Ameisen kommunizieren fast ausschließlich mit Duftstoffen, sie regeln damit alles. Pheromone kann man nicht hemmen, sie werden sezerniert, dringen ohne Umwege in das olfaktorische System ein, lösen tief im Stammhirn Reaktionen aus: Angst, Wut, sexuelle Lust. Animalisch. Keine Gegenwehr möglich.
Ich warf Felicité einen raschen Blick zu, so vorsichtig, als wäre sie eine Kiste Dynamit. Sie nahm keine Notiz von mir, schaufelte, die Mandelaugen auf ihren Teller geheftet, mit Appetit den Fisch in sich hinein. Einer der batteriebetriebenen Insektenkiller auf dem Tisch gab ihrer Haut, die sonst die Farbe von Latte macchiato hatte, einen exotischen Blauton. Sie weiß
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