Gäbe es die Liebe nicht
wie ich erwartet hatte. Ich glaube, es war gut, dass ich in einem anderen Staat aufs College gegangen bin. Jetzt brauche ich sie nur noch davon abzuhalten, sie mir einzurichten.“
„Dass du allein leben wirst, gefällt mir nicht.“
Sie sah ihn kurz an. „Ob es dir gefällt oder nicht, spielt keine Rolle, ich bin eine erwachsene Frau. Du lebst doch auch allein, oder?“
„Das ist etwas anderes.“
„Warum?“
Weil er sich um sich selbst keine Sorgen machte. Aber um sie. Doch das sagte er nicht. Inzwischen kannte er sie gut genug. „Ich lebe nicht allein. Ich habe Personal.“
„Dafür werde ich keinen Platz haben. Sieh mal, wie grün das Gras ist.“
„Du wechselst das Thema.“
„Ja, das tue ich. Nimmst du dir oft nachmittags frei?“
„Nein.“ Er würde sich ihre Wohnung ansehen und entscheiden, ob sie darin sicher war. „Aber ich dachte mir, ich muss dich schon vor dem Krankenhaus abfangen, wenn ich mit dir allein sein will.“
„Ich hätte Nein sagen können.“
„Ich war mir sicher, dass du nicht ablehnen würdest. Was tust du dort eigentlich? Noch darfst du doch keine Nadel und Messer in Menschen stechen.“
Sie lachte. „Meistens besuche ich Patienten, rede mit ihnen und bringe ihnen etwas zu lesen. Manchmal helfe ich auch, die Betten frisch zu beziehen.“
„Dafür hast du doch nicht studiert!“
„Nein, aber ich lerne viel dabei. Die Ärzte und Schwestern haben wenig Zeit für ihre Patienten, weil sie einfach zu beschäftigt sind. Ich dagegen habe die Zeit. Und ich kann lernen, wie es ist, stundenlang dazuliegen, mit Schmerzen oder einfach nur gelangweilt. Daran werde ich mich erinnern, wenn ich selbst praktiziere.“
So hatte er es noch nie gesehen, aber erinnerte sich daran, wie seine Mutter nach langer Krankheit gestorben war. Damals war er zehn gewesen. Den Geruch in ihrem Zimmer würde er ebenso wenig vergessen wie den Geruch in den Minen. „Macht es dir nichts aus, die ganze Zeit bei kranken Menschen zu sein?“
„Wenn es mir nichts ausmachen würde, hätte ich nicht den Wunsch gehabt, Medizin zu studieren.“
Daniel beobachtete, wie der Wind ihr das Haar aus dem Gesicht wehte. Er hatte seine Mutter geliebt und jeden Tag an ihrem Bett gesessen, aber irgendwann hatte ihm vor ihrer Krankheit und dem Dahinsiechen gegraut. Anna war jung und voller Leben. Trotzdem hatte sie sich entschieden, für Kranke da zu sein. „Ich verstehe dich nicht.“
„Manchmal verstehe ich mich selbst nicht.“
„Sag mir, warum du jeden Tag ins Krankenhaus gehst.“
Sie dachte an ihren Traum. Warum sollte ausgerechnet er es verstehen, wenn es sonst niemand tat? Dann fiel ihr Mrs. Higgs ein. Vielleicht würde er das verstehen. „In der Klinik liegt eine Frau. Vor zwei Wochen hat man ihr einen Tumor entfernt. Und einen Teil ihrer Leber. Ich weiß, dass sie Schmerzen hat, aber sie beklagt sich kaum. Sie muss reden, und das kann ich ihr geben. Anders kann ich ihr jetzt noch nicht helfen.“
„Aber es ist wichtig.“
Sie sah ihn an. „Ja, für uns beide. Heute hat sie mir erzählt, wie sehr sie es bereut, dass sie nach dem Tod ihres Mannes nicht wieder geheiratet hat. Sie möchte, dass jemand sich an sie erinnert. Ihr Körper versagt, aber ihr Verstand ist noch so klar. Vorhin habe ich ihr von dir erzählt …“
„Von mir?“
Fast hätte Anna sich auf die Zunge gebissen. „Ja. Mrs. Higgs kam auf Männer zu sprechen, und ich erzählte ihr, dass ich einen kenne, der mir auf die Nerven geht.“
Er nahm ihre Hand und küsste sie. „Danke.“
Sie gab Gas. „Jedenfalls habe ich dich ihr beschrieben. Sie war beeindruckt.“
„Wie hast du mich beschrieben?“
„Bist du auch noch eitel, Daniel?“
„Absolut.“
„Der Punkt ist, ich kann jeden Tag ein paar Minuten an ihrem Bett sitzen und ihr von der Welt hier draußen erzählen. Vielleicht hilft ihr das, ihr Leid zu ertragen. Ein Arzt darf nie vergessen, dass Diagnose und Therapie einfach nicht genug sind. Es gehört auch Mitgefühl dazu.“
„Ich glaube, du wirst das nie vergessen.“
Seine Antwort ging ihr ans Herz. „Du versuchst schon wieder, mir zu schmeicheln.“
„Keineswegs. Ich versuche, dich zu verstehen.“
„Daniel…“ Mit Arroganz, mit Eitelkeit, selbst mit Aufdringlichkeit konnte sie umgehen. Aber wie sollte sie auf Freundlichkeit reagieren? „Wenn du mich wirklich verstehen willst, musst du mir zuhören. Das Examen abzulegen und als Ärztin zu arbeiten, das sind nicht nur die wichtigsten Dinge in meinem
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