Gaelen Foley - Knight 01
veranlagte Frau. Was, wenn sie in dem Wetter krank wurde? Das konnte sie sich wirklich nicht leisten. Und schließlich saß der Mann ja nicht neben ihr in der Kutsche.
Eine verschrammte ehemalige Droschke hielt neben ihr an, gezogen von einer armseligen Schindmähre. Ein Kutscher mit klatschnassem Zylinder winkte sie heran. Einen Moment zö- gerte Bel noch, dann eilte sie über das Pflaster und stieg ein.
In aller Unschuld teilte sie dem Kutscher des Aufsehers mit, wo sie wohnte.
Wenn der Duke of Hawkscliffe in der Stadt weilte, wohnte er in einem palladianischen Palais mit Blick auf den Green Park. Hinter einer mit schmiedeeisernen Spitzen bewehrten Ziegel- mauer erhob sich Knight House in einsamer Pracht.
In den makellosen Gärten hielten Doggen und Neufundlän- der Wache. Rings um das hochherrschaftliche Anwesen war al- les still. Auch innen, unter den üppigen Kronleuchtern und in den Marmorfluren, herrschte fast gespenstische Ruhe. Die Dienstboten huschten im Speisezimmer umher, wo ihr Dienst- herr wie üblich allein dinierte.
Nun saß er reglos an dem herrlichen Pianoforte in der dunk- len Bibliothek. Er besaß mehrere Flügel, da er musikalisch und ein Sammler war. Im Ballsaal stand ein Clementi, im Salon ein Flügel von Broadwood, im Musikzimmer warteten ein Walter und sein gutes altes Cembalo – und hier hatte er sein geliebtes Graf, das beste aller Pianofortes und sein ganzer Stolz. Es ent- sprach seinem eigenbrötlerischen Wesen, dass er das schönste Instrument in einem Raum versteckte, in den er nie jemanden einlud. Die Musik war für Hawkscliffe eben eine sehr persön- liche Sache, und außerdem war ohnehin niemand da, dem er den Flügel hätte vorführen können.
Traurig klimperte er mit einer Hand auf dem Manual. Er fand dort keinen Trost. Vergessen waren seine Musik, seine ed- len Ziele. Er brachte es nicht einmal über sich, zur Sitzung ins Oberhaus zu gehen.
Er sank auf der Bank zusammen und starrte auf die Tasten. Das verhalten glimmende Feuer warf einen rötlichen Schein auf sein Gesicht, doch es konnte die Kälte in seinem Herzen nicht vertreiben, die sich vor drei Wochen dort festgesetzt hat- te, als Lucy vermisst wurde.
Er umklammerte das silberne Medaillon mit ihrer Miniatur und griff nach dem Brandyglas auf dem Flügel. Er hob es hoch und sah durch es hindurch. Im flackernden Feuerschein erin- nerte ihn die Farbe des Brandys an ihr tiefrotes Haar.
Wer, wo, was war er gewesen, bevor Lucy Coldfell in sein Le- ben getreten war und ihm eine völlig neue Richtung gegeben hatte? Ach ja, dachte er bitter. Ich war auf der Suche nach ei- ner Ehefrau.
Er stürzte den Brandy hinunter und dachte daran, wie er Coldfells junger Braut zum ersten Mal begegnet war. Auf Cold- fells Tochter hatte er jedenfalls nie so reagiert, wobei das doch viel praktischer gewesen wäre. Das ist die Frau, die ich hätte heiraten sollen, sagte er sich.
Zu spät.
Es war zu spät, sie zu lieben. Sie zu retten.
Plötzlich stand er auf und schleuderte das Glas mit aller Macht ins Feuer. Es zerbarst, und die Flammen loderten hoch auf, als die letzten Tropfen Alkohol ins Feuer rannen.
Außer sich vor Zorn über das, was Coldfell ihm heute erzählt hatte, sprang er auf und begann im Zimmer auf und ab zu ge- hen. Dann lehnte er sich an den Kaminsims und rieb sich ge- dankenvoll den Mund.
Er war Coldfells grobem, prahlerischem Neffen Dolph Breckinridge bereits vorgestellt worden. Und dessen Ruf als Jäger war ihm wohl vertraut. Man kannte den Baronet als erst- klassigen Schützen. Und als waghalsigen Sportsmann, der über seine Verhältnisse lebte. Hawkscliffe nahm an, dass er sehr daran interessiert war, als nächster Earl of Coldfell sein Erbe anzutreten.
Hawkscliffe wagte sich kaum zu fragen, ob der alte Earl noch in der Lage war, ein Kind zu zeugen – aber dem biblischen Abraham war es ja auch gelungen, nicht wahr? Er wusste nur, wenn Coldfell und Lucy einen Sohn bekommen hätten, wäre dieser der nächste Earl geworden – und nicht Breckinridge. Der Baronet hatte freien Zugang zum Anwesen seines Onkels und somit Gelegenheit genug, Lucy allein zu konfrontieren; als geübter Jäger wusste er, wie man tötete, und die ständige Ge- fahr einer Schwangerschaft wäre durchaus ein Motiv.
Hawkscliffe überlegte, ob er die Bow Street Runners enga- gieren sollte, damit sie für ihn Untersuchungen anstellten, dachte dann aber, dass die Angelegenheit zu persönlich war, um Fremde damit zu betrauen.
Nach dem Besuch an
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