Gaelen Foley - Knight 01
ihrem Grab hatte er bei White’s vorbei- geschaut, wo er erfahren hatte, dass der Prinzregent in Brighton mal wieder ein rauschendes Fest gab. AU die Ver- schwender, die den Prinzregenten verehrten, würden dort hin- eilen, und Dolph und seine Freunde wären auch dabei.
Hawkscliffe brannte darauf, Dolph sofort zum Duell zu for- dern, doch wie Coldfell gesagt hatte: Er hatte einen Verdacht,
keine Beweise. Entnervt fuhr er sich durch das dichte schwar- ze Haar.
Er würde noch verrückt werden, wenn er die Wahrheit nicht herausfand, aber er durfte nicht einfach seiner Wut folgen und wüste Anklagen erheben, ohne sie mit Fakten untermauern zu können – noch dazu Anklagen, welche die Frau eines anderen Mannes betrafen. Ein derartig ungezügeltes Verhalten würde im ton einen Riesenskandal auslösen, und das konnte er sich wirklich nicht leisten.
Schließlich musste er an den guten Namen seiner Familie denken, an seinen eigenen Ruf und den seiner Schwester. Ja- cinda würde in ein, zwei Jahren in die Gesellschaft eingeführt werden, und er wollte nicht, dass sie auch nur vom Hauch ei- nes Skandals gestreift wurde. Sie war von Natur aus kapriziös und starrköpfig, und insgeheim befürchtete er, dass sie die Schamlosigkeit ihrer Mutter geerbt haben könnte.
Er musste auch an seine politischen Ziele denken. Der Pre- mier Lord Liverpool hatte ihn für einen der nächsten freien Kabinettsitze im Auge. Außerdem saß Hawkscliffe in einem Dutzend parlamentarischer Ausschüsse; sein Ruf als integrer Mann hatte ihm schon oft geholfen, Gesetzesentwürfe in bei- den Häusern durchzubringen. Ein Verlust an persönlicher Glaubwürdigkeit könnte seine Bemühungen, etwa um die Re- form des Strafrechts, zunichte machen. Und er könnte es nicht ertragen, wenn Lucys Andenken durch Gerede hinter vorge- haltener Hand entweiht würde. Er war der Gerechtigkeit ver- pflichtet und musste daher objektiv bleiben; er konnte wohl kaum im Parlament für Gerechtigkeit eintreten und dann in ei- nem Anfall von Zorn einen unschuldigen Menschen im Duell töten.
Bevor er etwas unternehmen konnte, brauchte er Tatsachen, aber Dolph würde nicht einfach so zugeben, dass er einen Mord begangen hatte. Also war eine List vonnöten. Er würde Dolph beobachten, vielleicht sogar Freundschaft heucheln müssen, bis er einen Weg gefunden hatte, ihn in die Enge zu treiben. Je- der Mensch hatte irgendeinen schwachen Punkt. Er würde Dolphs Schwachpunkt herausfinden und darin herumsto- chern, bis die Wahrheit ans Licht kam. Dazu musste er sich zwar in Geduld üben und seinen Zorn beherrschen, aber am Ende wäre seine Rache nur umso tödlicher.
Entschlossen verließ er die Bibliothek und ließ seinen Kam-
merdiener rufen.
Im Morgengrauen würde er nach Brighton aufbrechen.
Das flackernde Talglicht erhellte den Raum nur unzulänglich, als Bel die Hemden fertig stellte, die sie in Heimarbeit flickte. Schließlich stand sie auf und rieb sich den schmerzenden Rü- cken. Dann legte sie ihren grauen Wollumhang um. Sie hatte der Wäscherin versprochen, dass sie die Hemden noch am Abend bringen würde, damit sie bis morgen gestärkt und ge- bügelt werden konnten. Sie nahm die Hemden über den Arm, schloss ihr Zimmer ab und zog sich die rot gefütterte Kapuze über den Kopf. Dann trat sie mit wehendem Umhang auf die nächtliche Straße.
Es war eine mondlose Aprilnacht und stockfinster. Außer- dem war die Temperatur um zehn Grad gefallen. Bels Atem kondensierte. Als sie die Kreuzung überquerte, konnte sie kei- nen einzigen Nachtwächter entdecken. Tagsüber war ihr die Wache ziemlich lästig, weil sie ihr immer befahlen, ihre Oran- gen anderswo zu verkaufen, doch nachts war sie froh, dass es sie gab.
Sie zog den Umhang fester um sich und eilte weiter. Als sie sich dem lauten, verwahrlosten Ginladen näherte, ging sie auf die andere Straßenseite. Nüchterne Männer waren schon schlimm genug.
Endlich erreichte sie die Wäscherei. Mit einem erleichterten Seufzen überreichte sie die Hemden. Die Wäscherin inspizier- te sie mit einem zufriedenen Nicken, gab ihr ein paar neue zum Flicken und bezahlte sie. Bel steckte die Münzen in die winzi- ge Lederbörse, die auf Taillenhöhe in ihren Umhang genäht war. Dann atmete sie tief durch, zog die Kapuze wieder über den Kopf und machte sich auf den Heimweg durch die düstere Kälte.
Es war nur eine Viertelstunde Fußweg bis zu dem Loch, das ihr jetzt als Heim diente. Der gelbe Nebel schien noch dichter geworden zu
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