Gaelen Foley - Knight 01
sein, die Geräusche hinter ihr klangen gedämpft, und ihre Schritte hallten unheimlich von den Backsteinhäu- sern in den schmalen, gewundenen Gassen wider. Sie sah über die Schulter und beschleunigte ihre Schritte.
Eine gestreifte Straßenkatze strich an ihr vorbei. Aus einem Fenster über ihr schallte schrilles Gelächter. Sie bückte hoch, ging um die Ecke, und in dem Augenblick packte der Mann sie.
Ihr Schrei wurde von einer schwieligen Hand erstickt.
Sofort begann sie sich zu wehren, wand sich blindlings in dem eisernen Griff, während sie in eine kleine Seitengasse ge- zerrt wurde.
„Maul halten.“ Der Hüne schüttelte sie und drückte sie dann hart gegen die Hauswand.
Sie fing sich gerade noch rechtzeitig, um nicht zu stürzen. Voll Panik schaute sie auf. Vor ihr stand der Aufseher vom Fleet, offensichtlich sturzbetrunken.
Eine plötzliche Erkenntnis überkam sie. Die Kutschfahrt ... Er hatte die Sache geplant.
„Hallo, meine Hübsche“, nuschelte er und presste sie gegen die Wand, als wäre sie eine seiner Gefangenen.
Bel schluckte und versuchte sich krampfhaft zu beruhigen. Sie zitterte hemmungslos, und ihr Atem ging stoßweise vor Angst. Sie strengte sich an, sich seitlich davonzuwinden, doch er hielt sie auf, indem er ihr mit einer fleischigen Hand den Weg versperrte. Mit der anderen berührte er ihr Haar. Er lächelte. „Hab doch gesagt, wir würden uns schon einigen, nicht? Geht alles klar, Mädel. Solang du mir gibst, was ich will.“ „Nein“, stieß sie hervor.
„Oh doch“, meinte er heiser. Er kam mit seinem stinkenden Mund näher, um sie zu küssen.
Sie zuckte zurück und schrie, doch er legte ihr einfach wie- der die Hand auf den Mund. Sie kämpfte gegen seine brutale Kraft an. Innerlich weigerte sie sich, das, was hier geschah, zu akzeptieren. Doch dann schlang sich seine heiße, schmutzige Hand um ihre Kehle, und er drückte sich an Bel, keuchte ihr ins Ohr. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Panik.
„Immer langsam, Mädel, halt still“, knurrte er. „Du weißt doch, jetzt biste dran.“ Er packte ihre Hände und drückte sie über ihrem Kopf an die Wand.
An die nächsten Minuten würde sie sich nie genau erinnern. Die Welt um sie verschwamm, und alles, was sie hören konn- te, war ihr eigener Herzschlag, der ihr in den Ohren dröhnte. Schluchzend zwang sie sich, zu den Sternen aufzusehen, die kalt auf sie herunterschienen. Nur das metallische Klirren sei- nes riesigen Schlüsselrings drang durch die wilde, schwarze Hysterie zu ihr durch, während er sie gegen die kalte Back- steinmauer drückte, ihre Kleider zerriss, sie packte und ver- letzte. Dann durchglühte sie ein Schmerz, wie sie ihn nie zuvor
empfunden hatte. Der Aufseher grunzte und sank plötzlich schlaff und keuchend gegen sie. Sein Griff lockerte sich, und sie riss sich los und rannte davon.
„Wenn du auch nur einer Menschenseele davon erzählst, prügle ich deinen Pa windelweich!“ rief er ihr nach.
Blind vor Tränen, die Kleider zerrissen, die Haare wirr, stürzte sie sich in eine belebte Straße mit Laternen. Später sollte sie sich nicht mehr an den Nachtwächter erinnern, der sie dort aufgriff, sie in ihrem wilden, verstörten Zustand für ei- ne betrunkene Straßendirne hielt und ins Heim für gefallene Frauen bringen ließ. Sie sollte sich nicht mehr an die Frauen entsinnen, die ihr dort halfen. Sie sollte sich nur noch daran er- innern, dass sie fast drei Tage lang mit angezogenen Knien auf ihrem Feldbett gesessen und immer wieder gedacht hatte: Das ist alles, wozu ich jetzt noch tauge.
Das Leben, wie sie es kannte, war vorüber.
Sie, die sittsame, ehrbare Miss Hamilton, wusste besser als jede andere, dass es zwischen Tugendhaftigkeit und Schande eine klare Trennungslinie gab.
Vor Urzeiten war sie einmal eine wohlerzogene junge Dame vom Lande gewesen, die bei ihren Nachbarn Besuche machte, die Bauernkinder nach dem sonntäglichen Kirchgang unter- richtete und hin und wieder an einem Ball teilnahm. Jetzt war sie ein vollkommen anderer Mensch, ebenso verloren und ver- kommen wie die Prostituierten, die hier herkamen, um etwas zu essen zu bekommen, eine Unterkunft und eine Quecksilber- therapie gegen ihre furchtbaren Krankheiten.
Sie konnte sich nirgends hinwenden. Papa zu besuchen war vollkommen unmöglich. Sie konnte ihren Vergewaltiger nicht einmal anzeigen, denn als Aufseher in einem der größten Ge- fängnisse Londons hatte er in den Büros der Bow Street be- stimmt Freunde. Sie konnte ihn
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