Gaelen Foley - Knight 01
sie Linda-Bel, seit sie klein war. Sie stellte sich neben ihn und tät- schelte ihm liebevoll die Schulter. „Wie haben sie dich heute behandelt? Hast du dein Dinner bekommen?“
„Ja, einen Hammeleintopf. Vor lauter Hammel werde ich noch ganz irisch, fürchte ich!“ rief er und schlug sich lachend
auf die Schenkel. „Wie gern würde ich ein gutes englisches Steak essen. Ach ja, Beefsteak und ein paar weiße Brötchen, wie du sie immer gemacht hast – das wäre himmlisch. “
„Nun ja, wenn dir nichts Schlimmeres zustößt, als dass du irisch wirst, bin ich froh. Du scheinst recht guter Dinge zu sein.“
„Immer, meine Liebe, immer, und das kann hier nicht jeder sagen. Heute Nachmittag zum Beispiel bin ich in den Hof ge- gangen, und da habe ich so viele lange Gesichter gesehen, dass ich meine Geige geholt und den ganzen Block mit schottischen Melodien erfreut habe. Manche haben sogar einen Reel hinge- legt! Und ich hab wirklich einen Riesenbeifall bekommen.“
„Wunderbar!“ erwiderte sie lachend. Sie wusste, dass ihr Va- ter die meisten Wärter und Insassen mit seiner fröhlichen, sanften Art für sich eingenommen hatte – und mit seinem Gei- genspiel und den Geschichten über Ritter, Drachen und Jung- frauen in Nöten, denn das half, die endlose Langeweile zu ver- treiben.
Inzwischen kümmerten sich die kräftigeren Gefangenen und die netteren Wärter um ihn, aber das Fleet war kein Herren- club, und ihr Vater war einem solchen Ort noch nie ausgesetzt gewesen. Diese Gedanken bedrückten sie fast ständig, und auch jetzt verebbte ihr fröhliches Gelächter.
Er schob die Brille von der Nase und blinzelte sie an. „Na, na, den Blick kenne ich. Du darfst dir um mich keine Sorgen ma- chen, mein Fräulein. Die Wolken verziehen sich auch wieder. Das tun sie immer. Sorg lieber für dich selbst und deine klei- nen Schutzbefohlenen. Das Unterrichten ist die vornehmste Aufgabe der zivilisierten Welt. Du kannst deinen albernen De- bütantinnen ruhig sagen, dass es noch keine junge Dame um- gebracht hat, das Buch, das man auf dem Kopf balanciert, auch mal aufzuschlagen. Genau wie ich es dir beigebracht ha- be.“
„Ja, Papa.“ Sie wandte den Blick ab.
Ihr Vater war ein hoffnungsloser Optimist, aber er wäre si- cher nicht so fröhlich, wenn sie ihm die Wahrheit nicht vorent- halten hätte. Fest entschlossen, ihm keine Sorgen zu machen, hatte sie den Schein gewahrt und gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Von ihrer ungerechten Entlassung hatte sie ihm nichts erzählt.
„Und vergiss nicht deinen Milton“, fügte er hinzu. „,Denn
unser Sinn ist selbst sein Ort, er schafft aus Himmel Holl, aus Hölle Himmel sich …’ Wenn du diese vier Wände ansiehst, siehst du eine Gefängniszelle, aber ich sehe darin – eine Zau- berwerkstatt“, verkündete er.
„Oh Papa. Es ist nur – ich weiß einfach nicht, wie ich dich je hier herausbekommen soll. Es ist so viel Geld. Du bist mein Va- ter, deswegen würde ich dir nie irgendwelche Vorwürfe ma- chen, aber manchmal wünschte ich doch ... dass du die Hand- schriften verkauft hättest, anstatt sie der Bodleian zu stiften.“ Er verzog das Gesicht in strenge, missbilligende Falten. „Verkaufen? Schäm dich, Tochter! Überleg, was du da sagst. Es handelt sich um unbezahlbare Kunstwerke, die ich aus den Händen skrupelloser Kaufleute gerettet habe. Ist Schönheit käuflich? Oder die Wahrheit? Diese Bücher gehören der gesam- ten Menschheit.“
„Aber du hast sie mit dem Geld gekauft, das für unsere Mie- te und unsere Kutsche und unser Essen bestimmt war, Papa.“
„Und ich bin der Einzige, der unter meinen Prinzipien zu lei- den hat, nicht wahr? In dieser Hinsicht sehe ich mich in bester Gesellschaft – denk nur an Paulus oder Galileo. Du hast doch alles, was du brauchst, oder? In der Schule hast du Unterkunft und Essen und andere Mädchen, mit denen du dich unterhal- ten kannst.“
„Nun ja, aber ...“
„Dann mach dir meinetwegen keine Gedanken. Wir treffen unsere Entscheidungen im Leben und müssen den Preis dafür zahlen. Ich habe keine Angst vor dem, was das Schicksal für mich bereithält.“
„Ja, Papa“, murmelte sie und senkte den Kopf. Innerlich kochte sie vor Wut über seine absurde Predigt, aber sie hätte nicht im Traum daran gedacht, ihm zu erzählen, dass er es in seiner Zauberwerkstatt nur deswegen bequem hatte, weil sie ständig Opfer für ihn brachte. Stattdessen schickte sie sich zum Gehen an. Gewiss war er begierig, weiter an
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