Gaelen Foley - Knight 01
nicht einmal davon abhalten, es noch einmal zu versuchen.
Am dritten Tag wollte sich eine der Dirnen, die hier Zuflucht gefunden hatten, mit ihr unterhalten, während Bel zusammen- gerollt im Bett lag und die Wand anstarrte. Bel bekam kaum et- was davon mit, bis sich die alternde Hure vorbeugte und ihr riet: „Wenn ich so aussehen würd wie du und so vornehme Ma- nieren hätt, ich würd zu Harriette Wilson gehen und mir dort ‘nen feinen Pinkel suchen, der mich aushält. Einen Gönner. Ei- nen Beschützer. Dann hätt ich ein Leben in Saus und Braus.“
Bel wandte sich um und schaute sie an.
Sie hatte den Namen schon öfter gehört, wenn auch nur im Flüsterton. Die göttliche Harriette Wilson war die größte Halb- weltdame Londons.
Sie und ihre Schwestern waren Kurtisanen, Venuspriesterin- nen par excellence. Jeden Samstag nach der Oper veranstalte- ten sie rauschende Orgien in ihrem Haus, das in der Gunst der reichsten und mächtigsten Männer Londons gleich nach Whi- te’s kam. Es hieß, dass man dort den Prinzregenten, den auf- müpfigen Dichter Lord Byron und sogar den großen Welling- ton antreffen konnte.
Auch Dolph bewegte sich in diesen Kreisen. Ich könnte ja die Geliebte seines ärgsten Feindes werden, überlegte sie mit ei- nem kalten Lächeln. Wie gedemütigt er dann wäre, so wie sie jetzt, und völlig machtlos und außer sich vor Zorn, wenn er er- kennen müsste, dass sie lieber die Hure eines anderen wurde als seine Frau. Denn letztendlich war Dolph an allem schuld. Einen Beschützer. Was für ein herrliches Wort.
Jemand, der ihr half, ihr alle Ängste nahm. Jemand, der freundlich zu ihr war und sie nicht verletzte. Diese Vorstellung brannte in ihr wie Fieber. Und warum auch nicht? Ruiniert war sie ohnehin. Nicht einmal Mick Braden würde sie jetzt noch nehmen.
Der Gedanke an ihre Kindheitsliebe erfüllte sie mit Wider- willen. Wie sehr er sie im Stich gelassen hatte. Jetzt konnte sie es sich ja eingestehen – vermutlich trieb er sich irgendwo in London herum, schäkerte mit einer Schankkellnerin, genoss seine Junggesellentage, bevor er sich nach Kelmscot aufmach- te, wo sie, wie er zweifellos dachte, geduldig auf ihn wartete. Was für ein Dummkopf sie doch war! Wenn sie sich nicht die- se albernen Hoffnungen auf ihn gemacht hätte, könnte sie jetzt längst mit einem anderen Mann verheiratet sein. Nichts von alldem hätte passieren müssen. Harriette Wilson konnte ihr beibringen, für sich selbst zu sorgen.
Ihr leise glühender Zorn wuchs, wurde mächtig, stark und bitter.
Sie war zu stolz, um von der berüchtigten Kurtisane Almo- sen zu erbetteln, aber sie könnte ihr ein Geschäft vorschlagen. Wenn sie Harriette Wilson einen prozentualen Anteil von den Zahlungen ihres zukünftigen Gönners versprach, würde die Frau sie doch sicher in den Künsten einer Liebesdienerin un-
terweisen. Was hatte sie schon zu verlieren?
Kurz darauf raffte Bel ihre wenigen Habseligkeiten zusam- men. Ihre Hände zitterten etwas ob der Dreistigkeit ihres Ent- schlusses. Sie wusste, dass sie im Moment nicht klar denken konnte, aber sie war so zornig, dass es ihr egal war. Sie dankte den guten Menschen, die sich in den letzten drei Tagen um sie gekümmert hatten, und fragte die Straßendirne nach Harriet- te Wilsons Adresse.
Den Umhang eng an sich gerafft, machte sie sich auf, ihrem Schicksal gegenüberzutreten. Es war ein weiter Weg von der City in den sauberen, luxuriösen Stadtteil Marylebone, nörd- lich von Mayfair gelegen, wo man am neuen Regent’s Park Straßen und herrliche Häuserblocks baute. In ihr brannte der Zorn und hielt sie warm. Sie hatte zwar ein paar Tage lang nichts gegessen, doch war ihr Hunger nichts verglichen mit ih- rem Durst nach Rache.
Schön brauchte er nicht zu sein. Jung auch nicht, überlegte sie, während sie durch die Straßen eilte, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Er brauchte sie auch nicht mit Juwelen und schönen Kleidern zu überschütten.
Er brauchte nur sanft zu sein und es ihr nicht zu unange- nehm zu machen, und dann musste er ihr helfen, Papa aus dem Fleet zu holen, und ihr beistehen, wenn sie dieser unsäglichen Bestie gegenübertrat.
Wenn das Schicksal mir einen solchen Mann schickt, schwor sie dem Himmel voll Bitterkeit, werde ich schon dafür sorgen, dass er auf seine Kosten kommt.
2. KAPITEL
In Brightons anregender Seeluft konnte Hawkscliffe, wie er feststellte, wieder frei atmen. Lag es nun daran, dass das über- füllte London mit allem, was ihn
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