Gaelen Foley - Knight 02
sich selbst die Nächste war, wenn sie Harrys Sehnsucht nach seiner Mama überging, um sich selbst zu retten, wenn ihre ganze Tugend also nur ge- heuchelt war, würde der mysteriöse Bann, in den sie ihn ge- schlagen hatte, sofort gebrochen werden. Sein Herz und sein Verstand wären wieder frei, und er würde beide Frauen zie- hen lassen.
Ah, aber wenn ihre Wahl selbstlos ausfiel, trotz aller Kon- sequenzen, die ihr blühten, wenn sie ihren Ruf und ihre Tu- gend riskierte – dann würde er sie bei sich behalten und an- beten und von ihr das Geheimnis der Unschuld lernen. So oder so konnte er nur gewinnen. Tatsächlich war es ein ma- kelloser Plan, und Lucien war höchst zufrieden, dass er ihm eingefallen war.
Die beiden Frauen starrten ihn immer noch fassungslos an. „Oh, du bist wirklich ein Teufel“, flüsterte Caro endlich. Gleichgültig betrachtete er sie und schaute dann gleich wieder gespannt auf das junge Mädchen. „Nun, Alice, wer soll es sein – Caro oder Sie?“
Aus riesengroßen, dunklen Augen blickte sie ihn an, voll- kommen ratlos. Ihr strenger Haarknoten betonte ihr fein ge- schnittenes Gesicht – die glatte Stirn und die hohen Wangen- knochen, das feste Kinn und den langen Schwanenhals. Lu- cien warf ihr einen Bück zu, mit dem er andeutete, dass sei- ne Absichten rein sexueller Natur waren. Das wird sie wohl dazu bringen, ihr wahres Gesicht zu zeigen, dachte er. Furcht, Sehnsucht und eine erschreckende Hoffnung hatten ihn völlig rücksichtslos gemacht.
„Sie scherzen, Mylord“, rang Alice sich ab.
„Es ist ihm völlig ernst“, hauchte Caro kopfschüttelnd. „Dieses Funkeln in den Augen kenne ich. In seinem Kopf fliegt irgendein böses kleines Teufelchen herum, das nicht eher zufrieden ist, bis es bekommen hat, was es will.“
„Nun?“ fragte er.
„Das ist ja absurd!“ Voll Empörung sprang Alice auf, doch ihre Augen waren vor Furcht dunkelblau, und sie war bleich
geworden. „Komm, Caro, wir reisen ab.“
„Setzen Sie sich, Miss Montague“, befahl er. „Sie werden vor dieser Entscheidung nicht davonlaufen. Eigentlich soll- ten Sie dankbar sein, dass ich wenigstens eine von Ihnen ge- hen lasse, denn ich bin versucht, Sie beide hier zu behalten – und wer sollte den kleinen Harry dann trösten?“
„Lucien, hör auf.“ Caro erhob sich abrupt und musterte ihn abschätzend. „Mein Kind ist krank. Ich muss zu ihm.“ „Jetzt auf einmal?“ Verächtlich schüttelte er den Kopf. „Sprich mit Alice. Es steht in ihrer Macht, dich zu befreien.“
„Auf sie bist du also scharf. Lucien, sie ist noch Jungfrau.“
„Und das bleibt sie auch, wenn sie die richtige Entschei- dung trifft.“
Die fragliche Dame stieß einen leisen Schrei aus. „Diese Unterhaltung ist höchst unschicklich! Mylord, Sie wissen ganz genau, dass Sie keine von uns gegen ihren Willen hier behalten können. Das wäre ja Freiheitsberaubung! Wir könnten Sie ins Gefängnis bringen.“
„Ach, ich würde mir da keine allzu großen Sorgen machen, meine Liebe.“ Caro verschränkte die Arme vor der Brust und schaute sie verächtlich an. „Lord Lucien stellt dich doch nur auf die Probe. Da bist du nicht die Erste, und du wirst auch nicht die Letzte sein. Vermutlich will er sehen, ob er dich verderben kann. So etwas macht dem Schuft Spaß – Leute abklopfen, in die Enge treiben, ihre Schwächen herausfin- den. Von sich aus wird er dir nichts tun, aber wenn du stol- perst, bist du verloren.“
„Aber meine Liebe, urteilst du da nicht ein wenig streng?“ tadelte er.
„Ich weiß, warum Sie das tun“, meinte Alice mit schwan- kender Stimme und machte trotzig einen Schritt auf ihn zu. „Sie wollen mich dafür bestrafen, dass ich mich in die Grot- te geschlichen habe – aber ich werde niemandem von Ihrem ekelhaften Kult erzählen! Wem sollte ich denn etwas sagen? Es wäre mir peinlich, es überhaupt zu erwähnen!“
„Aber ich würde Sie doch nie für irgendetwas bestrafen, Alice“, erwiderte er. „Wer bin ich denn, um Sie zu bestrafen? Ihr Vater? Ihr Gatte?“
Bei letztem Wort wurde sie blass. „Sie können mich nicht zwingen, hier zu bleiben! Harry braucht ...“
„Seine Mutter“, unterbrach er sie.
„Mich braucht er auch!“ Sie rang sichtlich um Fassung. „Mylord, wenn Sie so versessen auf eine Freundschaft sind, dann, nun ja, dann dürfen Sie mich im Frühjahr in London besuchen ...“ Ihre Stimme erstarb, als sie sein leises, dunkles Lachen hörte.
„Das ist wohl kaum das, was ich im
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