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Gai-Jin

Gai-Jin

Titel: Gai-Jin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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diese Weihnacht die letzte sein würde…
    »Es kann nicht diese Weihnacht sein, Kleines«, murmelte er mit finsterem Stirnrunzeln, so sehr er sie auch mochte. »Ich kann’s mir einfach noch nicht leisten, und hier ist nicht der richtige Platz für eine junge Dame.«
    Wie oft hatte er ihr schon geschrieben und ihr das erklärt, weil Maureen und ihre Eltern im Grunde wollten, daß er bei Struan’s in England oder Schottland arbeitete oder, noch besser, ›diese berüchtigte Firma verließ und zu Hause arbeitete wie ein normaler Mann‹. Und weil er selbst im Grunde wollte, daß sie die Verlobung löste und ihn vergaß – weil die meisten britischen Ehefrauen Asien schnell hassen lernten, die Asiaten verabscheuten, die Freudenmädchen verabscheuten, gegen ihre ständige Bereitschaft wüteten, das Essen verabscheuten, jammernd nach ihrem ›Zuhause‹ und der Familie verlangten und ihrem Ehemann das Leben zur Hölle machten.
    Und weil er, jawohl, Asien genoß, seine Arbeit liebte, seine Freiheit zu schätzen wußte, die Yoshiwara mochte und nicht mit Freuden heimkehren würde. Nun gut, dachte er, nicht bevor ich mich zur Ruhe setze.
    Das einzig Gute in der Post waren die Bücher von Hatchard’s am Piccadilly: eine neue, illustrierte Ausgabe von Darwins brisantem Über die Entstehung der Arten, ein paar Tennison-Gedichte, eine jüngst übersetzte Schrift von Karl Marx und Friedrich Engels mit dem Titel Das Manifest der Kommunistischen Partei, fünf Ausgaben des Punch, vor allem aber eine weitere Ausgabe von All the Year Round. Das war eine von Charles Dickens gegründete Wochenzeitschrift, und dieses Heft enthielt den vierzehnten Teil von Große Erwartungen – im ganzen sollten es zwanzig werden.
    Obwohl er sehr viel zu tun hatte, verschloß McFay die Tür, um gierig den neuen Teil zu verschlingen. Als er den letzten Satz – ›Fortsetzung folgt‹ – gelesen hatte, seufzte er tief auf. Was zum Teufel wird Miss Havisham nun wieder tun, diese böse, alte Hexe. Erinnert sie mich an Maureens Mutter? Ich hoffe sehr, daß für Pip alles gut ausgeht. Irgendwie muß es das! Ich hoffe, der alte Dickens schenkt uns ein richtig schönes Happy-End… Kein Zweifel, er ist der größte Schriftsteller der Welt.
    Er stand auf und trat ans Fenster, beobachtete das Meer und schickte gute Wünsche an die Flotte in Edo und den Postdampfer, der nun keinen Umweg machen, sondern seine reguläre Route nach Shanghai fortsetzen konnte, anstatt mit Malcolm Struan an Bord direkt nach Hongkong zu fahren. Er machte sich Sorgen um ihn und die Zukunft, die sich jedoch irgendwie mit Pip und Miss Havisham vermischte, fragte sich, ob Pip sich aus dem Schlamassel, in dem er steckte, befreien konnte und ob sich das Mädchen in ihn verliebte. Hoffentlich, das arme Ding. Und was ist mit meiner Kleinen, Maureen? Wird Zeit, daß ich eine Familie gründe…
    Es klopfte. »Mr. McFay? Kann ich Sie einen Moment sprechen?« Es war Piero Vargas, sein Assistent.
    »Einen Augenblick.« Ein wenig schuldbewußt schob er die Zeitschrift unter den Stoß Post, reckte sich und öffnete die Tür.
    Piero Vargas war ein hübscher Eurasier mittleren Alters und kam aus Macao, der winzigen portugiesischen Enklave, die gut vierzig Meilen westlich von Hongkong wie ein Pickel auf einem Streifen China saß und seit 1552 besetzt war. Anders als die Briten betrachteten die Portugiesen Macao nicht als Kolonie, sondern als dem Mutterland gleichgestellt, ermunterten ihre Siedler, sich mit Chinesen zu verheiraten, akzeptierten eurasische Nachkommen als Staatsangehörige und erteilten ihnen unbefristete Einreiseerlaubnis ins Mutterland. Die Briten dagegen mißbilligten Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Rassen, obwohl viele von ihnen Familien hatten. Die Kinder aus diesen Ehen wurden in der Gesellschaft nicht akzeptiert. In Shanghai nahmen die Nachkommen den Namen des Vaters an, in Hongkong den der Mutter.
    Seit die Briten nach China gekommen waren, hatten sie gern die intelligentesten Macaoaner als Geldwechsler und Compradores eingestellt, die notgedrungen nicht nur Englisch, sondern auch chinesische Dialekte beherrschten. Bis auf das Noble House. Dessen Comprador war der ungeheuer reiche Gordon Chen, außerehelicher Sohn des Firmengründers Dirk Struan von einer seiner vielen Konkubinen, allerdings nicht von der letzten, der sagenhaften May-may.
    »Ja, Piero?«
    »Tut mir leid, wenn ich störe, Senhor«, sagte Piero in fließendem, weichem Englisch. »Aber Kinu-san, unser

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