Gai-Jin
zu tragen vermochten, jede Straße, Brücke und Gasse verstopften. Alle erwarteten, daß explodierende Granaten und Raketen, von denen sie zwar gehört, die sie aber noch nie erlebt hatten, jeden Augenblick Feuer auf die Stadt herabregnen lassen würden und daß ihre Stadt brennen, brennen, brennen würde, und sie mit ihr.
»Tod den Gai-Jin!« hörte man überall. »Schnell… Aus dem Weg… Schnell!« riefen die Menschen. Hier und da brach Panik aus, einige Flüchtende wurden zerquetscht, aber die meisten trotteten stoisch dahin – alle immer nur landeinwärts. »Tod den Gai-Jin!« schrien sie, während sie flohen.
Der Exodus hatte am Morgen begonnen, in dem Moment, als die Flotte im Hafen von Yokohama die Anker lichtete, obwohl die vorausschauenderen Kaufleute schon drei Tage zuvor in aller Stille die besten Lastträger engagiert und sich, ihre Familien und Wertsachen in Sicherheit gebracht hatten, als Gerüchte über den unglücklichen Zwischenfall und die darauffolgende Empörung und Forderung der Ausländer in der Stadt umgelaufen waren.
Nur die Samurai in der Burg und die Besatzungen der äußeren Verteidigungsanlagen und Stützpunkte hielten ihre Positionen noch besetzt. Und wie immer und überall schlichen und schnüffelten die Aasgeier der Straßen, tierischer und menschlicher Natur, um die unverschlossenen Häuser, um festzustellen, was gestohlen und später verkauft werden konnte. Plünderung galt als ein besonders abscheuliches Verbrechen und wurde seit jeher unnachsichtig verfolgt, bis die Täter gefangen und gekreuzigt werden konnten. Diebstahl in jeglicher Form wurde auf dieselbe Art und Weise bestraft.
Im Hauptturm der Burg kauerten Shōgun Nobusada und Prinzessin Yazu engumschlungen hinter einem dünnen Wandschirm und warteten mit ihren Wachen, Zofen und Höflingen auf die Erlaubnis des Vormunds zum Abmarsch. Überall in der Burg selbst machten sich die Männer zur Verteidigung bereit, zäumten Pferde und verpackten den wertvollsten Besitz der Ältesten zur Evakuierung, die beginnen sollte, sobald die Beschießung einsetzte oder der Rat Meldung erhielt, daß feindliche Truppen von Bord gingen.
Im Saal des Rates sagte Yoshi auf der hastig einberufenen Versammlung der Ältesten: »Ich wiederhole, ich glaube nicht, daß sie uns militärisch angreifen werden oder besch…«
»Und ich sehe keinen Grund zu warten. Die Vorsicht rät uns wegzugehen; sie werden jeden Moment mit der Beschießung beginnen«, widersprach Anjo. »Die erste Kanonade war das Warnzeichen.«
»Das glaube ich nicht! Ich glaube, sie war einfach die arrogante Ankündigung ihres Erscheinens. Es hat keine Granateinschläge in der Stadt gegeben. Die Flotte wird uns nicht beschießen, und ich wiederhole, ich bin überzeugt, daß die Zusammenkunft morgen stattfinden wird, wie sie geplant war. Bei diesen Verhandlungen…«
»Wie können Sie nur so blind sein? Wenn die Positionen umgekehrt wären und Sie diese Flotte befehligen würden und diese gewaltige Übermacht zur Verfügung hätten – würden Sie auch nur eine Sekunde zögern?« Anjo schäumte vor Wut. »Was ist – würden Sie?«
»Natürlich nicht! Aber sie sind nicht wir, und wir sind nicht sie, und nur so kann man sie unter Kontrolle halten.«
»Sie begreifen überhaupt nichts!« Verzweifelt wandte sich Anjo an die anderen drei Berater. »Der Shōgun muß an einen sicheren Ort geschafft werden, und wir müssen ebenfalls gehen, damit wir die Regierung weiterführen können. Das ist alles, was ich will, eine vorübergehende Abwesenheit. Bis auf unsere persönlichen Gefolgsleute werden alle anderen Samurai bleiben, werden alle Bakufu bleiben.« Wieder warf er Yoshi einen zornigen Blick zu. »Sie können ja bleiben, wenn Sie wollen. Und jetzt werden wir abstimmen: Die vorübergehende Abwesenheit ist beschlossen!«
»Einen Moment! Wenn Sie das tun, wird das Shōgunat für immer das Gesicht verlieren, und wir werden nie in der Lage sein, die Daimyos und ihre Gegner zu kontrollieren – nicht mal die Bakufu. Niemals!«
»Wir sind nur vorsichtig. Die Bakufu bleiben an Ort und Stelle. Genau wie die Krieger. Als Oberster Berater ist es mein Recht, eine Abstimmung zu verlangen. Ich stimme dafür!« sagte Anjo.
»Und ich sage nein«, erklärte Yoshi.
»Ich stimme Yoshi-san zu«, sagte Utani, ein kleiner, dünner Mann mit freundlichen Augen und hagerem Gesicht. »Ich stimme ihm zu, daß wir für immer das Gesicht verlieren, wenn wir jetzt weggehen.«
Yoshi, der ihn sympathisch
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