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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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und ihre Träume platzten. Doch Richard hatte begriffen, dass auch Mädchen Ziele haben konnten. Er fälsch te die Unterschrift seines Vaters und wechselte aufs Gymnasi um. Er ließ sich die Haare schneiden, trug Hosen und fing an zu rauchen. Manche Söhne studierten Medizin, weil die Mutter an Krebs starb, Richard studierte in Tübingen Jura, um ein Sohn zu werden. Doch die Kommilitonen sahen in ihm nur die künftige Gattin eines Anwalts auf der Suche nach einer guten Partie. Der eine oder andere probierte, ob er auch ohne Heiratsversprechen zum Zuge kam.
    Richard schuftete für seinen Lebensunterhalt als Putze und Barmädchen. Wenn er nicht mehr konnte, zog er einen Anzug an und fuhr nach Stuttgart, um sich auf dem Strich von Huren ansprechen zu lassen. Und er begann, seinen Ekel zu ersäufen. Die Prüfungen stand er in Bluse, Rock, Nylons und hochha ckigen Schuhen durch, damit die Professoren Kavaliere blieben. Als er ins Referendariat eintrat, tauchten überall joviale Frat zen, Dickbäuche und witzelnde Münder auf. Eines düsteren Win tertages drängte ihn ein Gerichtsdiener in eine Besenkammer und verging sich an ihm.
    Richard betrank sich, baute mit einem geliehenen Porsche einen Unfall und rannte davon. Der Psychologe, der seine verminderte Schuldfähigkeit feststellte, machte ihn zum ers ten Mal auf die damals noch sehr theoretische Möglichkeit einer Geschlechtsumwandlung aufmerksam.
    »Bis 1980«, erklärte mir Richard, »hielt die Rechtsprechung operative Geschlechtsumwandlungen nur in ganz eindeutigen Ausnahmefällen, in denen sie zur Vermeidung schwerster seelischer und körperlicher Beeinträchtigungen unerlässlich waren, für nicht sittenwidrig und damit für zulässig. Dann griff das Verfassungsgericht ein und zwang den Gesetzgeber zu handeln. Die sogenannte Kleine Lösung er laubt die Annahme eines Vornamens des anderen Ge schlechts. Voraussetzung ist, dass man mindestens drei Jahre unter dem Zwang steht, anders zu leben. Das muss von zwei Gutachtern bestätigt werden. Wenn man bis zu 302 Tage nach dem Namenswechsel ein Kind bekommt, wird die Entscheidung rückgängig gemacht. Bei der sogenannten Großen Lösung müssen alle Papiere bis hin zur Geburtsurkunde geändert werden. Zu den bereits genannten Voraussetzungen kommt, dass man sich einem operativen Eingriff unterzieht, der die äußeren Geschlechtsmerkmale verändert. In letzter Konsequenz bedeutet es Fortpflanzungsunfähigkeit.«
    Da Richard alkoholkrank war, musste er zunächst in eine Therapie. Psychologen, die sich mit Transsexuellen auskannten, waren dünn gesät. Und die beschäftigten sich ausschließlich mit Männern, die sich als Frauen fühlten. Es gab buchstäblich keinen einzigen, der verstand, wo das Problem lag, wenn eine Frau sich als Mann fühlte.
    »Denn jedem Mann«, sagte Richard, »leuchtet es sofort ein, dass es für eine Frau wünschenswert ist, ein Mann zu sein. Das erscheint nicht als individuelles Problem, sondern als ein allgemeines, das alle Frauen haben.«
    Richards Odyssee begann. Ein Psychologe klärte ihn darüber auf, wie er sich als Frau selbst befriedigen konnte. Der andere sah im Rahmen der Frauenemanzipation die Gesellschaft ohnehin auf dem Weg zur Androgynität. Schließlich fand Richard in London eine Psychologin, die in Amerika Transmänner behandelt hatte. Sie unterwarf ihn zunächst verschiedenen Tests. In Lesbenkneipen musste er sich der Frage stellen, ob er als Frau Frauen liebte. Unter den Fernfahrern übte er sich mit plattgewickelter Brust im Fluchen und Zotenerzählen. Erstmals suchte er ein Fitnessstudio auf. Nach vier Jahren begann die Psychologin mit der Hormonbehandlung. »Niemand hatte mir gesagt, dass die ersten Spritzen mordsmäßig geil machen würden. Ich kam in den Stimmbruch. Mein Bartwuchs begann. Aber ich träumte davon, als Mann ins Freibad zu gehen.«
    Richard stand auf und schaute aus dem Fenster, die Hand in der Hosentasche. Bei solcher Gelegenheit kratzte sich ein richtiger Mann am Sack. Webers Bundfaltenhose floss wohlerzogen glatt zum Schritt.
    »Ich will Ihnen«, sagte er, sich umwendend, »die peinlichen Details nicht vorenthalten, denn ich weiß, dass dies im Allgemeinen die Phantasie am meisten beschäftigt. In Deutschland gibt es schätzungsweise knapp zehntausend Männer, die jetzt als Frau leben. Die Ärzte sehen kein Problem darin, einen Männerkörper mit weiblichen Merkmalen auszustatten. Man verlegt den Penis operativ als Scheide ins Innere und verpasst dem Mann

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