Gaisburger Schlachthof
fort. »Und dass ich mich dabei Ihrer bediene!«
»Und, stimmt es?«
Weber langte nach seiner Zigarettenschachtel, aber sie war leer. »Natürlich nicht!« Er knüllte die Schachtel knackend in der Faust zusammen.
»Kopf hoch«, sagte ich munter. »Irgendwas ist faul an die sen CDs. Sonst hätte Fängele ja nicht diesen seltsamen Vorstoß gemacht und ihnen eine ausgehändigt. Sie werden ihm schon noch auf die Schliche kommen! Und dann kriegen Sie Ihre Genugtuung für den verlorenen Prozess wegen Insolvenzbetrugs.«
»Geht Ihnen eigentlich nie der Atem aus?«, fuhr Weber mich unvermittelt an. »Aus allem machen Sie eine Komödie! Wie Narren lassen Sie uns auf Ihrer Bühne herumspringen!«
»Warum herrschen Sie mich so an?«, erwiderte ich kühl. »Sie brauchen mir nicht zu beweisen, dass Sie ein Mann sind!«
Weber schluckte.
»Ich glaube es Ihnen auch so«, sagte ich. »Sie beherrschen doch alle Techniken, die Männer zu so angenehmen Zeitgenossen machen: Rechthaberei, Arroganz, Mangel an Einfühlungsvermögen, Autoritätsgehabe.«
Der Mann schien zu einer Antwort nicht aufgelegt. Nicht in seiner Amtsstube.
Also fuhr ich fort: »Und Sie nutzen Ihre Macht skrupellos aus. Meinetwegen können Sie die Zeugeneinschüchterung im Fängele-Prozess auf Christoph Weininger abwälzen. Der ist auch ein Mann. Der kennt eure Spielregeln. Aber ich werde es nicht dulden, dass Sie Ihre Fahrerflucht in angetrunkenem Zustand auf diese Rosanna Weber abschieben. Nicht, nach dem Sie mir gegenüber zugegeben haben, dass Sie keine Schwes ter haben.«
Ziemlich furchtlos ruhte Webers asymmetrischer Blick aus milchkaffeebraunen Augen auf mir. Erst viel später wurde mir klar, dass er sogar seine Eitelkeit dem Erkenntnisinteresse des Ermittlers unterordnen konnte und mich wie jeden anderen Verdächtigen im Glauben ließ, ich hätte es in der Hand, wohin das Gespräch lief.
»Ich bin Ihnen keinerlei Erklärung schuldig«, bemerkte er.
Ich schoss ihm meine volle Schachtel Zigaretten über den Tisch. Er fing sie ab.
»Richtig, Herr Oberstaatsanwalt. Sie sind mir keine Erklärung schuldig. Dafür schulde ich Ihnen auch keinerlei Rücksichtnahme. Ich muss Sie nicht fragen, ob ich meine Erkenntnisse über einen Staatsbeamten veröffentlichen darf, der nach einer Trunkenheitsfahrt vermutlich niemals das hätte werden dürfen, was er heute ist. Und wenn mich Ihr Tenniskumpel Elsäßer daran hindert, es im immerhin noch recht seriösen Stuttgarter Anzeiger zu veröffentlichen, dann wird sich eine andere Zeitung finden, die diese Geschichte mit Handkuss nimmt. Das garantiere ich Ihnen.«
Weber griff nach den Zigaretten. »Lisa«, sagte er sanft, »geht es nicht auch ohne Drohungen?«
23
Zögernd kehrte Richard Weber, während draußen die Sonne glänzte, in sein finsteres Elternhaus in Balingen zurück, auf dessen knarzenden Dielen, in dessen verwinkelten Stiegen und dunklen Winkeln das Versteckspiel begann.
In den Stuben standen Möbel aus deutscher Eiche, darauf Klöppeldeckchen und Nippes und natürlich überall die unvermeidlichen Waagen: Apothekerwaagen, Balkenwaagen, Neigungswaagen und so weiter. In den verglasten Bücherschränken das deutsche Kulturgut, ausgenommen Kästner, Ossietzky und Tucholsky und was einst noch so alles auf den Scheiterhaufen gebrannt hatte. An der Wand in Vaters Arbeitszimmer das helle Bildviereck blieb jahrelang ungestrichen.
Am Klavier spreizte das Kind die Finger zur Etüde. Die Mutter bügelte Kleidchen, flocht Zöpfchen, kniff in die Beinchen beim Hochzippeln der Strumpfhosen. Eines Tages entdeckte Richard, dass er ein Mädchen war. Bei Gewitter klammerte er sich ans Eisenrohr des Kachelofens, denn der Vater hatte behauptet, der Blitz könnte durch Eisen schlagen. Aber der Blitz kam nicht.
Damals steckte man Töchter in Mädchenschulen. Richard lernte Schönschreiben, Sticken, Stricken, Kochen und Klavierspielen. Mädchen brauchten auch kein Abitur, denn sie heirateten. Richard kam auf ein Hauswirtschaftsinternat nach Stuttgart. Ein Irrtum der Natur drängte ihm Brüste auf und bescherte ihm die Monatsblutung.
Nur am Klavier vergaß er Zöpfe und Faltenrock.
Mit fünfzehn kaufte er sich in einem Kaufhaus eine Hose. Er weinte vor dem Spiegel in seiner Stube, aber er wagte nicht, die Hose in der Schule zu tragen.
Mit siebzehn verliebte er sich in eine dunkelhaarige Schönheit. Sie rauchte heimlich und wollte das Abitur machen, um zu studieren. Ein Junge aus der Tanzstunde machte ihr ein Kind,
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