Gaisburger Schlachthof
nach dem erprobten Verfahren Silikonbrüste, sollten die Hormone nicht ausreichen. Dieselben plastischen Chirurgen bekommen jedoch enorme Bedenken bei der Verkleinerung der Brust.
Noch problematischer wird es bei dem Organ, das den Mann auszeichnet. Bereits in den dreißiger Jahren gelang es Ärzten, bei einem biologischen Mann nach einem Unfall den Penis zu rekonstruieren, doch bei einer biologischen Frau war die Phalloplastik anscheinend nicht zu leisten. Experimente mit einem Stück Rippe, die den Fortsatz auf Dauer versteift, halte ich für Lehrstücke von religiösem Sadismus. Bei Männern, die ihren Penis durch einen Unfall verloren haben, rekonstruiert man ihn übrigens mit gutem Erfolg mithilfe eines Knochenstücks aus dem Wadenbein. Aber bei Transmännern ist das offenbar nicht möglich. Oder es soll nicht möglich sein. Man beschränkt sich meist darauf, die Klitoris hormonell zu vergrößern und mithilfe empfindlicher Nervenhaut vom Unterarm zu verlängern. Ein eingeschobenes Plastikröhrchen erlaubt das Urinieren auf der Herrentoilette. Eine Erektion ist nicht möglich. Dauerschmerzen im vernarbten Unterleib sind die Regel. Aber dann hörte ich von einer Klinik in Argentinien. Dort verwendet man für die Konstruktion des Geschlechtsteils die Organe von Affen.«
Mir wurde anders.
Verglichen mit der Todesverachtung, mit der Richard Monate in Krankenhäusern verbracht hatte, um sich zuerst Eierstöcke und Gebärmutter herausschneiden und dann in riskanter stundenlanger Operation Blutgefäße umverlegen und ein Gehänge aus Schwellkörpern von Affen und Silikoneiern zusammenbasteln zu lassen, schien mir sein jahrzehntelanges Muskeltraining in Sportstudios eine harmlose kleine Neurose.
»Tatsächlich«, fuhr er fort, »gibt es keinerlei erzieherische Maßnahmen und keine einzige professionelle Psychotherapie, um das gefühlte Geschlecht dem abweichenden körperlichen Geschlecht anzupassen. Es gibt immer nur eine einzige Lösung dieses Problems: die Anpassung des körperlichen Geschlechts an das gefühlte. Vielleicht liegt es daran, dass der Geist über unseren Körper herrscht. Und wenn ein Hirn männlich ist und ein männliches Bewusstsein generiert, dann muss sich die Biologie eben unterwerfen. Alles andere wäre ein Versuch, eine Persönlichkeit zu brechen.«
Richard hatte sich in all den Jahren als Staatsanwalt quer durch Deutschland versetzen lassen, damit seine Persönlichkeitsveränderung nicht allzu auffällig wurde. Als Beamten konnte man ihn nicht einfach deshalb entlassen, weil er als Mann unter Frauennamen auftrat. Zwei Jahre war er beurlaubt gewesen und hatte in Argentinien gelebt. Nachdem das Gesetz die Korrektur seiner urkundlichen Identität erlaubte, kehrte er fünfunddreißigjährig nach Stuttgart zurück. Intelligenz, Ehrgeiz und Leistungsfähigkeit, die ihn als Frau eher behindert hatten, erwiesen sich jetzt als karriereförderlich.
»Meine Eltern stellte ich vor vollendete Tatsachen. Als meine Mutter begriff, dass ich die Geburtsurkunde nicht für eine Heirat gebraucht hatte, bekam sie einen Nervenzusammenbruch und musste in psychiatrische Behandlung. Mein Vater wies mir die Tür. Ich habe meine Eltern seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.«
Er stand immer noch am Fenster hinter seinem Schreibtisch und blickte überallhin, nur nicht auf mich. Ich suchte das Gesicht der einstigen Rosanna in seinem, aber ich fand es nicht.
»Und damit«, sagte er, »zum Hauptpunkt: Als Frau habe ich niemals sexuelle Befriedigung erlebt. In den achtziger Jahren probierte ich es mit Nutten. Die sind an Seltsamkeiten gewöhnt. Dann wagte ich eine Affäre mit einer Referendarin. Als sie mich verließ, erwog ich ernsthaft, Schluss zu machen, und flüchtete mich in die Arbeit.« Er blickte mich an. »Ich halte mich übrigens nicht für einen Mann, der ständig seine Männlichkeit beweisen muss …«
Ich unterdrückte ein Lächeln.
»… denn ich selbst zweifle ja nicht an ihr. Man sagt, Männer seien gefühllos, abweisend und rechthaberisch. Und das deckt sich mit Ihrer Einschätzung meines Charakters.« Er schmunzelte. »Natürlich habe ich immer den Fehler gemacht, meine Geschichte zu verschweigen, aber nicht, weil ich damit Probleme habe, sondern weil die anderen damit erhebliche Probleme bekommen. Verstehen Sie jetzt? Ich musste Ihre Avancen zurückweisen.« Er wandte sich mir zu.
Ich hustete. »Hoffentlich«, sagte ich, »sind Sie nicht so verwegen, von mir eine halbwegs taktvolle Reaktion
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