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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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die Staatsanwaltschaft begab. Womöglich wollte er dem Staatsanwalt vorhalten, dass es seine Fingerabdrücke waren, die er auf der Drückbank identifiziert hatte, nicht meine. Christoph Weininger stand in der Tür wie ein Untergebener, der den Grimm über die Arroganz seines Herrn nur deshalb beherrschte, weil er wusste, dass sich im nächsten Augenblick die Gewichte ändern würden.
    Ich wäre gern dabei gewesen, wenn Weininger sich an Richard die Zähne ausbiss, aber beide durften von mir erwarten, dass ich aufstand und ging. Weininger machte mir Platz. Da er ein Mensch von breiter Statur war, wurde es eng in der Tür. Im Vorbeigehen erhaschte ich eine Nase voll Zigaretten- und Schweißaroma und dann diesen Zug von Mutterschutzweichspüler.
     
    Den Samstagvormittag dachte ich darüber nach, warum Richard nicht anrief. Das hätte er tun müssen! Um nicht neben meinem Telefon herumzusitzen wie eine verliebte Schnepfe, ging ich in die Stadt und kaufte mir ein Handy.
    Leider musste ich es erst zwanzig Stunden lang aufladen.
    Samstagnachmittag radelte, wer sportlich sein wollte, am Neckar entlang. Ich warf mich in Leggins und Rennschuhe und fuhr zum Lauftreff nach Feuerbach.
    Auf einer Waldlichtung versammelten sich an die hundert Läufer zur Gymnastik, von der kleinen Dicken mit X-Beinen bis zu den hageren Leistungsträgern des Vereins. Die Vorturnerin las die Namen der Gruppenleiter vor. Ich schloss mich der Gruppe sechs an, sechs Kilometer in einer Dreiviertelstunde, während die Leistungsgruppen davonsprinteten, um zehn oder elf zu bewältigen. Die kleine Dicke mit den X-Beinen musste für jeden Schritt, den ich machte, zwei machen, hatte aber immer noch Luft, ununterbrochen zu schwatzen.
    »Alles Unsinn«, behauptete sie. »Mein Mann sagt immer, langsam laufen, Puls 120, da verbrennst du am meisten Fett. Stimmt aber nicht. Ist ja auch unlogisch. Seit vier Monaten laufe ich schneller, verbrauche mehr Kalorien und demzufol ge auch mehr Fett.« Während wir vom Bach auf die Wiese einschwenkten und uns seelisch auf den Anstieg in den Wald vorbereiteten, erzählte sie, dass ihr Mann immer mit den Schnellsten sprintete und in der Woche auf achtzig Kilometer kam, wenn nicht auf hundert oder hundertzwanzig. Er trainierte für den Berlin-Marathon. Wir fünf Weiber seufzten. Die Gruppenleiterin wies zaghaft darauf hin, dass man auch übertrainieren konnte. Aber dem Mann ging es natürlich nicht um den Marathon, nicht wirklich. Samstags hatte er keine Zeit fürs Frühlingsfest, sonntags konnte er nicht zum Besuch bei den Schwiegereltern. Das Abendessen mit Freunden hätte sich leistungsmindernd auf den Morgenlauf ausgewirkt. Die Kinder waren immer schon im Bett, wenn er nach dem Geschäft auf Laufschuhen von der Zweistundenstrecke aus den Weinbergen zurückkam. Saß man dann endlich doch mal mit Bekannten in der Kneipe und kam das Gespräch auf Reisen, Beförderungen und Eigenheime, dann brachte er den gesamten Sozialwettstreit durch quälende Berichte konkurrenzloser körperlicher Höchstleistungen zum Erliegen.
    Als es den Kilometer bergan ging, mitten in die Buchen im vermoderten Laub, deren Gestänge sich langsam mit Grün rüstete, verstummte auch die kleine Dicke. Wir keuchten gemeinsam. Ich hängte meine Augen an die Fersen der Gruppenleiterin, um nicht zusammenzubrechen beim Blick den nicht enden wollenden Anstieg hinauf. Sie fing an, vereinsinternen Klatsch nach hinten zu erzählen, und berichtete vom Zweistundenlauf am vergangenen Wochenende. Läufer, die alleine rannten, entleerten sich das Hirn oder befreiten das Denken von alltäglicher Kleingeisterei und schwangen sich, während die Bäume vorbeiflogen, in philosophische Höhen. Weit entfernt von solcher Euphorie, versuchte ich gewaltsam, meine Gedanken von den Fersen der Gruppenleiterin ab in Richtung Gertrud zu lenken. Sie hatte gestern Vormittag eine verwüstete Sonnenbank vorgefunden. Hatte sie wirklich erwartet, sich vorgestellt oder gewünscht, eines verbrannten und verschlurrten menschlichen Grillfischs ansichtig zu werden?
    Ich hätte sie anzeigen müssen. Unbedingt, dachte ich, als die letzte Kehre vor Ende des Anstiegs auftauchte, unbedingt hätte ich sie anzeigen müssen, auch wenn ich nicht wusste, wie ich einem blonden jungen Schutzpolizisten meinen eigenen dümmlichen Anteil daran erklären sollte.
    Die letzten Meter mit letzter Kraft, endlich oben, Arme ausschütteln. Wir wandten uns dem Abzweig zum Friedhof zu. Ab jetzt würde es nur noch bergab

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