GALAN - Die Seelenwanderin (GALAN-Saga) (German Edition)
jeder hatte seinen Stammplatz. Ich neben meiner Mutter, links von mir Casper. Mein Vater saß natürlich am Kopfende, rechts von ihm Brasne und mir gegenüber heute Calena, wo eigentlich Aaron seinen Platz hatte. Sie hielten Händchen und flüsterten sich Liebkosungen ins Ohr, wobei Calena leicht errötete. Sie waren so glücklich, dass es mir schon fast das Herz brach. Warum konnte es nicht immer so sein? Bald, recht bald würde sich alles ändern, schneller als wir es für möglich hielten. Ein schreckliches Gefühl überkam mich und eine Stimme in meinem Kopf wiederholte diese qualvollen Worte: Unheil, Krieg.
Nach dem Essen verabschiedete sich Calena von uns und Brasne begleitete sie nach Hause.
Ich wünschte allen eine gute Nacht und zog mich in mein Zimmer zurück. Als einziges Mädchen unter sechs Brüdern hatte ich ein eigenes Zimmer - nur für mich ganz alleine. Meine Mutter hatte vor einigen Jahren darauf bestanden.
Sie fand es nicht schön, wo ich doch zu einer Frau herangereift war, weiterhin ein Zimmer mit einem meiner Brüder teilen zu müssen, und da wir ein ziemlich großes Haus besaßen, konnte Vater das für mich umsetzen. Ich war Mutter dafür mehr als dankbar. Mein Zimmer hatte ich mir nach meinem Geschmack eingerichtet. Immer stand eine Vase mit frischen Blumen auf dem großen Tisch, es hingen mit Blumen bestickte Vorhänge am Fenster und an den Wänden schön gemalte Landschaftsbilder von Casper, der sich als begabter Maler entpuppt hatte und mir mehrere seiner Gemälde schenkte. Wegen seiner Leidenschaft für die Natur, die ich mit ihm teilte, malte er gerne die Wälder und Blumenfelder aus unserer Region.
Den restlichen Abend wollte ich nutzen, um mir Gedanken über das Buch zu machen, das ich im Garten gelesen hatte. So wusch ich mich schnell, zog mein weißes, knielanges Nachthemd an und setzte mich an meinen Schreibtisch. Draußen stand die schmale Mondsichel bereits hoch am Himmel. Bald würden wir Neumond haben.
Ich schlug mein Tagebuch auf und begann zu schreiben. Nicht nur die Verlobung von Brasne und Calena ging mir durch den Kopf, sondern in erster Linie das Gespräch mit Aaron über Seelenwanderer. Auch die Geschichten, die ich in diesem alten Buch darüber fand, schrieb ich auf.
Die Seiten des Buches waren bereits vergilbt und manche Passagen schlecht lesbar. Der Autor, ein Gelehrter, hatte es vor Hunderten von Jahren geschrieben und vervielfältigen lassen. Zu seinen Lebzeiten gab es noch viele Seelenwanderer in den Territorien. Zu ihnen zählte auch seine Ehefrau, die ihre Gabe dazu nutzte, anderen Menschen zu helfen. Ihre Seele verließ ihren Körper und gelangte an Orte, an denen sich bestimmte Menschen aufhielten, an die die Seelenwanderin zuvor gedacht hatte. So konnte sie Informationen über weit entfernt wohnende Verwandte erfahren oder sogar vermisste Personen ausfindig machen. Leider blieben die guten Taten nicht unbemerkt. Schnell sprach es sich herum, wer ein Seelenwanderer war und wo er wohnte. Erfuhr ein Herrscher von einem Seelenwanderer, so wurde dieser zwangsverpflichtet und musste dem Regenten zu Diensten sein. Den entdeckten Wanderern blieb keine andere Wahl. Sie wurden genötigt, ihr eigenes Volk auszuspionieren und zu verraten. Ob unterschlagene Steuergelder, Schwarzarbeit, verborgene Schätze oder kriminelle Missetaten, die Aufdeckungsquote lag zeitweise bei hundert Prozent. Kein Wunder also, dass beim Volk der Unmut wuchs und sich der Hass auf die Seelenwanderer ausbreitete. Es begann eine Zeit, in der die Wanderer von ihren eigenen Gefolgsleuten verfolgt und ermordet wurden.
Die Frau des Gelehrten versuchte sich, vor dem Mob zu verstecken, doch sie wurde entdeckt und mit Gewalt weggeschleift. Auch der Versuch des Gelehrten, seine Frau vor der Meute zu retten, schlug fehl. Er wurde gewaltsam niedergeschlagen. Erst nach langer, komplizierter Suche konnte er, mithilfe eines letzten Seelenwanderers ihre Leiche auf dem Grund eines Sees ausmachen. Der Schmerz und die Ohnmacht, die an ihm nagte, bewegte ihn dazu, dieses Buch zu schreiben und zu verbreiten, damit sich die nächsten Generationen daran erinnern sollten, dass den Seelenwanderern schweres Unrecht angetan wurde und dass ihre Fähigkeiten kein Teufelswerk seien. Er beschrieb ausführlich, wie die Seelenwanderung funktionierte und berichtete von den guten Taten und den Vorteilen, warb um mehr Verständnis.
Die beschriebene Fähigkeit der Seelenwanderer kam mir sehr bekannt vor. Ich verstand jedoch
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