Galgenberg: Thriller (German Edition)
erklärte ihr Wilma Smit. »In Woodstock, in einer dieser schicken neuen Galerien. Die Plakate hängen überall in der Stadt. Ihren Nachnamen verwendet sie nicht mehr. Sie nennt sich einfach Lilith.«
»Ich glaube, ich weiß, welche Plakate Sie meinen. Ich erinnere mich an ein Gesicht, ein verstörendes Gesicht, das überall auf Plakaten zu sehen ist.«
»Sehen Sie sich die Ausstellung an«, schlug Wilma Smit vor. »Ich war dort. Vielleicht suchte ich nach Hinweisen, Spuren, verstehen Sie?«
»Haben Sie etwas gefunden?«
»Nicht viel. Schatten. Meine eigenen Projektionen. Wahrscheinlich wollte ich etwas in ihren Arbeiten entdecken. Einen Sinn in ihrem Leiden erkennen. Aber es ist moderne Kunst. Ich verstehe nichts davon.«
»Darf ich ihre Akte sehen? Ich muss sie sehen.«
»Die ist verschlossen.«
Eine Windbö rüttelte an den Fenstern. Clare legte ein paar Fotos auf den Schreibtisch.
»Das ist Lilith«, sagte die Sozialarbeiterin.
»Ihre Mutter«, verbesserte Clare sie. »Suzanne le Roux. Eine Rekonstruktion eines Schädels, der an der Begräbnisstätte am Gallows Hill gefunden wurde.«
»Wo?«
»Am Gallows Hill«, wiederholte Clare.
»Aber in der Zeitung stand, dort lägen nur alte Skelette. Von Sklaven und Gefangenen.
»Stimmt«, sagte Clare. »Bis auf dieses eine. Suzanne starb nicht an Malaria im Nord-Transvaal. Sie hat Kapstadt nie verlassen.«
Wilma Smit betrachtete sie argwöhnisch.
»Sie haben auf diesen Tag gewartet, nicht wahr, Mrs Smit?«
»Vielleicht«, antwortete sie. »Aber das wird nichts ändern.«
Clare parkte oben an den Company Gardens. Die Allee alter Eichen, durch die sie ging, schirmte die Hitze ab. Am anderen Ende zwängte sie sich an Touristen vorbei und meldete sich im Archiv an.
»Noch mal dieselben Zeitungen, Doc?«, fragte der Archivar und legte die angeforderten Dokumente auf ihren Tisch. »Die sind Sie doch schon beim letzten Mal durchgegangen.«
»Aber da habe ich nur die Nachrichten durchgesehen«, erklärte ihm Clare. »Das Feuilleton habe ich übersprungen.«
»Okay. Hier haben Sie alles«, sagte der Archivar. »Damals waren Dirty Dancing und Fatal Attraction ganz groß. Dieser gekochte Hase, wissen Sie noch?«
»Den kann man unmöglich vergessen«, erwiderte Clare und fädelte das Mikrofiche in den Apparat.
»Ich hätte noch ein paar alte Kunstzeitschriften«, bot ihr der Archivar an. » Vula , ADA , da steht auch eine Menge drin. Möchten Sie die ebenfalls sehen?«
»Bitte«, sagte Clare. Sie hatte das Auge am Bildschirm, wieder huschte der Februar 1988 vorbei. Diesmal konzentrierte sie sich auf die Kulturseiten. Da kamen sie schon: der gekochte Hase und Glenn Close, die wie eine psychotische Bibliothekarin aussah.
Sie hielt die Luft an und drehte das Rad ein Stück zurück, an dem Foto mit Glenn Close vorbei.
Sie hielt inne. Das Bild nahm die halbe Seite ein.
Das grüne Kleid, der Wasserfall an Haaren, der großzügige Mund, die Wangenknochen. Die Frau lachte. Eine Kette aus grob geschmiedeten Silberblättern ruhte auf ihren Schlüsselbeinen. Es war die Kette, mit der sie begraben worden war.
Das war sie.
Suzanne le Roux stand vor einem Halbkreis von Männern in schwarzen Anzügen und T-Shirts. Fast wie Backgroundsänger in einem frühen Madonna-Video. Hinter ihnen an der Wand hing eine Serie schwarz-weißer Holzschnitte. Jeder einzelne zeigte ein Township-Guernica. Casspirs , Soldaten, blutende Jungen im Staub. Clare vergrößerte das Bild auf dem Filmstreifen. Das Gemälde zeigte eine nackte Frau auf einem Hausboot, sonnengebräunt und lachend. Den Kopf in den Nacken geworfen, die Hände auf dem knallrunden Bauch mit ihrem ungeborenen Kind. Neben ihr leuchtend rote Geranien in einem Topf. Suzanne le Roux’ zinnoberrote Signatur kühn in einer Ecke. An der Wand daneben das Porträt eines kleinen Mädchens. Blondes Haar umrahmte ihr Gesicht wie ein Heiligenschein, eine Hand umklammerte einen Teddybär, neben ihr weiße Lilien in einer Vase.
Die Unterschrift lautete: »Suzanne le Roux’ triumphale und sofort ausverkaufte Vernissage in der Galerie Osman, Green Point. Foto: Ian Wilde.« Clare lehnte sich zurück und überlegte. Sie hatte das Gefühl, dass sie dafür bezahlen würde, trotzdem schickte sie Pedro eine SMS: Eine Bitte. Du hast in den 80ern mit Ian Wilde gearbeitet. Hast du noch Kontakt?
Pedro: Wieso?
Clare: Ich muss ihn was wegen 2 Bildern fragen, die er damals gemacht hat.
Pedro: Ich versuch’s. Gegen ein Abendessen?
Clare:
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