Galgenberg: Thriller (German Edition)
an. »Darum habe ich mich wieder zur Arbeit gemeldet. Allerdings starb er kurz darauf an einem Herzinfarkt – bei einem Rugbymatch, als er die Springboks verlieren sah.«
»Das tut mir leid«, sagte Clare.
»Das täte es Ihnen nicht, wenn Sie mit ihm verheiratet gewesen wären. Wie dem auch sei. Sie wollten etwas über Lilith le Roux wissen. Müssen Sie etwas recherchieren?«
Clare überging die Frage.
»Eigentlich interessiere ich mich vor allem für Suzanne le Roux. Liliths Mutter.«
»Ich hatte das Kind in meiner Obhut«, sagte die Sozialarbeiterin. »Damals in der ersten Nacht.«
»Welcher ersten Nacht?«
»In der Nacht, als die Mutter verschwand, war das Kind stundenlang allein zu Hause. Mit nichts als ein paar Äpfeln zu essen.«
»Ihre Mutter hatte sie allein zurückgelassen?«, fragte Clare.
»Ja. Die Mutter war Künstlerin. Aktiv in der Politik, in allen möglichen komischen Angelegenheiten. Sie fanden das Kind damals in ihrem Haus.«
»Wer?«, hakte Clare nach.
»Die Polizei, die hat uns damals gerufen.«
»Aber wer hat die Polizei gerufen? Wer hat die Frau vermisst gemeldet? Ich habe keinerlei Unterlagen darüber gefunden«, erklärte Clare.
»Laut der Sicherheitspolizei war die Mutter untergetaucht. Zu der Zeit kam das dauernd vor.«
»Also haben die Polizisten Sie angerufen?«
»Das mussten sie. Das Kind war völlig verängstigt. Wie unter Strom. Es wollte kein Wort sprechen.«
»Moment. Nicht so schnell. Erzählen Sie mir, warum die Sicherheitspolizei dort war.«
»Um die Mutter zu verhaften. Wie gesagt, damals passierten die merkwürdigsten Dinge, das Land war völlig instabil. Aber unsere Abteilung war nicht korrupt. Genau wie die Polizisten von der Kinderschutzeinheit. Den schlechten Ruf hatten wir allein der Sicherheitspolizei zu verdanken. Wir wurden alle mit demselben Pinsel überstrichen. Die von der Sicherheit wollten von jedem wissen, was er gerade trieb, aber selbst wollten sie keine Fragen beantworten.«
»Haben Sie gefragt?«
»Nein«, sagte Wilma Smit. »Anfangs nicht. Und dann war es zu spät.«
»Also hat man die Mutter abgeholt. Und das Kind einfach bei Ihnen gelassen.«
»Nein, nein. Es gab Vorschriften. In dem Fall hätten sie versucht, eine Verwandte oder Nachbarin zu finden, bei der sie das Kind lassen können. Aber da war niemand, der die Kleine aufnehmen konnte, darum haben sie uns stattdessen angerufen, und wir sind eingesprungen.«
»Und der Vater?«
»Den kannte niemand. Auf Liliths Geburtsurkunde war nichts eingetragen. Sie kam zu ihrer Großmutter. Ihrer Stiefgroßmutter, genau gesagt. Die wohnte im Karoo, in Laingsburg.«
»Und niemand suchte nach Suzanne le Roux?«, fragte Clare noch einmal.
»Wir haben es versucht, aber jemand musste sie gewarnt haben, dass der Special Branch – so hieß die Sicherheitspolizei damals – sie abholen wollte. Sie war einfach verschwunden. Untergetaucht, so wie es aussieht.«
»Wovor ist sie geflohen?«
»Der Special Branch hatte es auf sie abgesehen. Offenbar hatte sie einen Tipp bekommen, denn direkt nach der Eröffnung ihrer letzten Ausstellung verschwand sie. In den Norden. Wo sie sich die Malaria holte. Immun war sie bestimmt nicht, schließlich kam sie aus Kapstadt. Sie starb dort oben. Bis wir davon erfuhren, war sie schon beerdigt worden. Das war alles.«
»Und niemand hat je Fragen gestellt?«, bohrte Clare weiter.
»Die Familie jedenfalls nicht.«
»Und Sie auch nicht?« Clare sah sie ruhig an.
»Nein. Das war nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe war es, mich um ein verlassenes Kind zu kümmern. Ihre Mutter hatte keine Anweisungen hinterlassen, es gab nur die Kinderfrau, die früh am nächsten Morgen vorbeikam. Sie war völlig aufgelöst, weil ihr nichtsnutziger Sohn sich auf diesen Township-Unsinn eingelassen hatte. Aber sie erzählte uns von der Großmutter der Kleinen. Zeigte uns die Telefonnummer. Stiefgroßmutter, wie sich herausstellte. Keine Blutsverwandtschaft und erst recht keine übertriebene Zuneigung.«
»Und das hat funktioniert?« Clare war skeptisch.
»Die alte Mrs le Roux kam Lilith holen, aber sie konnte das Kind nicht leiden, nein«, erzählte Wilma Smit. »Es war abzusehen, dass es Ärger geben würde. Ich flüsterte bei jedem Atemzug ein Stoßgebet, als ich bei der alten Dame zu Hause war. Sie tat einfach so, als wäre nichts passiert. Weigerte sich, mit dem Kind über die Vergangenheit zu sprechen.«
»Sie blieben in Verbindung?«, erkundigte sich Clare. »War das so
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