Galgenberg: Thriller (German Edition)
Pflöcke und Schnüre ausgelegt. Die Studenten notierten, fotografierten, vermaßen. Raheema Patel und Tim Stone setzten Pinsel ein, um gekrümmte Wirbelsäulen freizulegen. Erdreich, das in Bereiche gedrungen war, wo einst Fleisch gewesen war.
»Hier sind mehr Gräber, als man sich wünschen kann, Clare«, sagte Stone. »Überall liegen Skelette, aufeinandergestapelt oder überkreuz begraben.«
»Auf den alten Karten ist nichts verzeichnet?«, fragte Clare.
Stone wischte die Hände an der Hose ab und dann den Schweiß von seiner Stirn.
»Das ist die einzige, die wir haben.«
Er breitete eine Karte auf dem Campingtisch aus, der unter einem Sonnenschirm aufgestellt worden war. Clare blickte auf die Reproduktion einer Karte vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, über die detaillierte Satellitenbilder kopiert worden waren.
»Bestimmt wurden viele von Hunden angefressen. Wahrscheinlich wurden nur ein paar unversehrt begraben«, sagte Friedman. »Herauszufinden, wer hier liegt, wird nicht einfach. Sklaven, Arme, Selbstmörder, Kriminelle.«
»Sehen Sie hier.« Stone tippte mit einem Stift auf die Karte. »Darauf sind alle alten Friedhöfe außerhalb der damaligen Stadtgrenze eingezeichnet. Die Baufirma muss davon gewusst haben. Vor zweihundert Jahren gab es in diesem Gebiet unzählige inoffizielle Begräbnisstätten. Und dort stand der Galgenhügel.« Stone richtete sich auf und deutete auf einen Bereich, der schon planiert worden war, um dort Bausand abzulagern. »Die Galgen konnte man von der Tafelbucht aus sehen. Eine Mahnung an alle Schiffe, die hier anlegen und Handel treiben wollten, was passieren würde, wenn sie gegen die Gesetze verstießen. Die Toten ließ man an den Galgen hängen, bis sie verrotteten und abfielen.«
»Ich hoffe, Sie finden heraus, wer all diese Menschen waren«, sagte Clare. »Wenn in Kapstadt Geschichte und Politik aufeinandertreffen, wird es immer kompliziert.«
»Professor Stone«, rief eine Studentin, ein schlaksiges Mädchen in einem Männerhemd.
Clare und Riedwaan folgten Stone zu dem Mädchen, das in der Nähe einiger Betonbrocken gearbeitet hatte. Aus dem Sand ragte die Ecke eines hölzernen Objektes.
»Was haben Sie da?«, fragte Stone.
Die Studentin strich sich das verschwitzte Haar aus dem Gesicht. »Sieht nach einem Holzartefakt aus. Es liegt ganz offensichtlich schon länger hier, aber…« Sie kniete sich in den Graben. »Der Erdboden über dem Holz wurde anscheinend bewegt«, sagte sie und fuhr dabei mit dem Finger vorsichtig über mehrere Lagen von Schutt. »Aber es kann unmöglich nach zweihundert Jahren in diesem Zustand sein.«
Stone wandte sich an Raheema Patel. »Leihen Sie mir Ihren Pinsel«, bat er.
Er säuberte das Objekt.
»Hey, Faizal. Das hier sieht nach einer Art Kiste aus«, sagte Stone. »Nehmen Sie sich einen Spaten und graben Sie es aus. Und zwar ganz langsam. Wir müssen das Ding rausholen. Wenn es sich um einen Sarg handelt, dann wären nach zweihundert Jahren nur noch ein paar Flecken im Sand übrig geblieben. Und vielleicht ein paar Metallbeschläge.«
Riedwaan und Stone lockerten den Sand rund um die Kiste und legten dabei erst einen Deckel und dann zwei Seitenwände frei. Stone griff wieder zum Spaten und kratzte den Sand von den Kistenwänden weg. Nach einer halben Stunde hatten sie alle vier Seitenwände ausgegraben. Die Überreste der Metallbänder, mit denen die Kiste zusammengehalten worden war, waren verrostet, aber das Holz war intakt.
»Sieht aus wie eine Art Vorratskiste«, sagte Stone.
Trotz der Hitze überlief Clare eine Gänsehaut. Sie fotografierte die Kiste an ihrem Fundort und machte danach eine Panoramaaufnahme der Stelle inmitten der zerklüfteten Betonbrocken und der zwei Lagerhauswände, die noch stehen geblieben waren.
»Wir sollten sie öffnen«, beschloss Riedwaan. »Gleich hier, damit der Inhalt nicht bewegt wird.«
»Sie sind der Polizist, Faizal«, sagte Stone. »Sie öffnen sie.«
Riedwaan schob eine Stahlklinge unter den Deckel. Er klappte erstaunlich leicht hoch. In der Kiste lag ein in schwarzes Plastik gepacktes Bündel.
In der Stille hörten sie die Menschen hinter den Stellwänden.
»Abdeckfolien aus Plastik gab es noch nicht, als die Galgen auf Gallows Hill in Betrieb waren.« Stone reichte Riedwaan ein Messer. »Das hier ist was für Sie, Captain, nicht für mich.«
Riedwaan schlitzte die Folie auf und legte zerbrechliche Knochen in fötaler Stellung frei, die in das schmutzige Plastik
Weitere Kostenlose Bücher