Galgeninsel
Schielin, schob sie beiseite und trat in den Wohnraum. Sie schluchzte hinter ihm.
Hoibner stand zwischen Sitzgruppe und Terrassentür. Er begann mit »Was ist …«, brach aber ab, als er die zwei Uniformierten gewahrte, die hinter Schielin den Raum betraten. Das Schluchzen im Vorraum steigerte sich zu einem hysterischen Winseln. Einer der Uniformierten behielt die Frau im Blick.
»Kommen Sie bitte mit, Herr Hoibner. Sie sind festgenommen.«
Hoibner versuchte zu lachen. »Und weswegen?«
»Verdacht der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Vielleicht erweitern wir noch auf Mord.«
»Ich möchte sofort meinen Anwalt sprechen«, bellte er in Richtung Schielin.
Der antwortete ruhig: »Das dürfen Sie. Jedoch auf der Dienststelle. Jetzt kommen Sie erst einmal mit. Ich habe es Ihnen schon gesagt, Sie sind festgenommen Herr Hoibner.«
Hoibner wurde laut, seine Bewegungen abrupter. »Ich gehe hier nicht raus, bevor ich meinen Anwalt nicht gesprochen habe.«
Schielin wurde deutlich. »Glauben Sie wir machen das zum ersten Mal! Sie kommen jetzt mit, verstanden, und lassen den Unsinn.«
Hoibners Frau war inzwischen heulend hereingekommen. Schielin bedeutete seinen Kollegen ihren Mann zu holen, dann drehte er sich zur Frau um. Schreien wollte er nicht, aber er fuhr sie mit gepresster Stimme an. »Hören Sie auf hier herum zu winseln. Sie haben ihren Mann doch gedeckt und verleugnet, als Mondringer hier anrief in höchster Not und völlig am Ende war. Sie waren es doch, die ihn hat abblitzen lassen. Also verschonen Sie mich mit diesem widerlichen Gejammer. Wo ist das Kind?«
Als sie wieder Luft holte, um weiterzuplärren, ging Schielin auf sie zu, packte ihre Schultern und schüttelte sie. »Wo ist das Kind?«
Erschrocken und unterbrochen von krampfigen Weinen: »Bei der Oma.«
Schielin drehte sich weg. Hoibner konnte nicht glauben, was vor sich ging. Er zitterte und atmete schwer. Speichel hing an seinem Mundwinkel. Er befand sich auf dem schmalen Grad zwischen Aggression und Nervenzusammenbruch. Die beiden Kollegen vermieden es ihn zu berühren. Ihre ruhige körperliche Präsenz und die Bestimmtheit ihres Auftretens genügten, die Situation zu dominieren. Und Hoibner ersparte es ihnen tatsächlich, Gewalt anwenden zu müssen. Als sie draußen waren, legten sie ihm Handschellen an, verfrachteten ihn in den Streifenwagen und fuhren los. Schielin sah wie am Haus gegenüber Vorhänge wackelten, am Gehsteig, ein Stück entfernt, blieben zwei Kinder stehen und verfolgten ungläubig die Szene. Hoibner war schon jetzt erledigt.
*
Lydia war aufgeregt. Sie ließ das Magnetfußblaulicht auf dem Dach des zivilen Wagens und bestaunte die Verkehrsschilder, an denen sie vorbeidonnerte. Sie fuhr auf der B31 in Richtung Friedrichshafen. Dort hatte sie zwei Termine. Der erste führte sie zur Polizeidirektion in die Ehlerstraße. Sie hatte Glück, denn genau die Kollegen, die Mondringers Unfall aufgenommen hatten, waren zufällig im Dienst. Sie trafen sich im nüchternen Kaffeezimmer. Sie ließ den Blick herumgleiten und setzte sich auf die Eckbank.
Diese Kaffeeräume auf Polizeidienststellen waren irgendwie alle gleich. Eine Küchenzeile, daneben ein, zwei Tische, die Eckbank, Stühle. Inzwischen hatten moderne Kaffeemaschinen Einzug gehalten. Keiner brühte mehr mit Filterkaffee herum. An den Wänden hingen Bilder von Fußballmannschaften, Zinnteller mit Jahreszahlen, Freundschaftswimpel, Kalender der Gewerkschaften, hübsch konkurrierend in Blau oder Grün. Es mutete ihr seltsam an, denn so fremd ihr die Menschen hier waren, so wenig Bezug sie zu Fotos und dem Wimpelkram hatte – so klinisch die Einrichtung auch war: das Vertraute gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Irgendwie fühlte es sich heimelig an. Wirklich komisch.
Die beiden Kollegen, ein junger, Anfang zwanzig mit roten Backen und der andere um die Fünfzig stellten ihr den Cappuccino hin. Der Dienstgruppenleiter kam noch und setzte sich dazu. Sie begann zu erzählen. Vom ermordeten Kandras, dem Erschossenen von heute Morgen und den Hinweisen, die zu Mondringer führten. Die drei hörten aufmerksam zu.
»Und was brauchst du jetzt von uns?«, fragte der ältere mit starkem Unterseeakzent.
»Die Lebensversicherung von Mondringer will nicht zahlen. Die halten das nicht für einen Unfall.«
Die beiden Kollegen sahen sich an, ihr Dienstgruppenleiter nahm keine aktive Rolle ein. Offensichtlich überlegten sie, auf was sie aufpassen mussten. Ganz normale Skepsis
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