Galgeninsel
ausrücken. Eine Leiche … unten am See.«
Schielin erhob sich langsam und sah ihn fragend an.
»Erschossen«, ergänzte Kimmel.
»Und wo am See?«, fragte Lydia.
»Galgeninsel … Spurensicherung ist schon unterwegs und die Streife hat bereits abgesperrt.«
»Wir sind doch nicht in Amiland«, jammerte Lydia, »was ist denn plötzlich hier los?«
*
Schielin stellte den Wagen am Zugang zum Uferweg ab. Lydia telefonierte noch während des Aussteigens mit den Spurensicherern und lotste sie von der Autobahnabfahrt bis zum Kreisverkehr, dann weiter durch das Reutiner Industriegebiet bis zum Kamelbuckel und endlich in die Ladestraße. Sie folgte Schielin, laut redend und gestikulierend. Schielin hatte diesmal keine Zeit für Bäume, Schilf und den Blick hinüber zur Insel Hoy.
Zwei uniformierte Kollegen erwarteten sie bereits dort, wo der schmale Weg sich zur breiten Kiesbank hin öffnete, in der er verschwand. Schielin redete wie nebenbei mit den beiden, sah sie nicht an, sondern blickte mit zusammengekniffenen Augen in Richtung See. Auf halber Strecke zwischen ihrem Standort und der Wasserlinie war eine Gestalt auszumachen, die rücklings auf dem groben Kies lag. Im Grunde nichts sonderlich auffälliges, wäre das rechte Knie nicht in unnatürlicher Weise abgewinkelt gewesen. Er spürte an sich selbst den Schmerz, den eine solche Position an der Hüfte auslösen musste. Doch der da lag, hatte keine Schmerzen mehr.
Obwohl die Spurensicherer noch nicht angekommen waren und noch den letzten Navigationsanweisungen von Lydia folgten, ging Schielin auf den Körper zu. Was sollte er hier schon an Spuren zerstören können? Er achtete sorgsam darauf, was vor ihm Boden lag und ging bis auf zwei Meter an den regungslosen Körper heran. Auf der Stirn, etwa fingerbreit über dem rechten Auge, war ein dunkler, runder Fleck zu erkennen, von dem aus ein dünner Faden roten Blutes die Augenmulde gefüllt hatte und von dort aus schmalspurig über Schläfe und Ohr zu Boden rann. Schielin sah einige Sekunden auf das Gesicht. Der Mund stand offen und die Zähne bleckten in den dunklen Himmel.
Er ging wieder zurück zu den anderen. Lydia hatte inzwischen aufgehört zu telefonieren und sah ihn fragend an. »Ich kenne ihn«, sagte er.
»Und, wer?«
»Einer von den Russen der Gepax. Der, der mir den Weg verstellt hatte, als ich dort war. Ich glaube er heißt Kubasch.«
Schielin war wütend, weil er die Zusammenhänge immer noch nicht verstand. Vor nicht mal einer Stunde noch, im Gespräch mit Lydia, schien sich die Ermittlung in eine eindeutige Richtung zu bewegen. Doch dieser Mord hier brachte alles wieder durcheinander. Er fluchte und deutete aufgeregt in Richtung Kubaschs leblosen Körper. »So ein Mist. Ich war noch hier gewesen, genau hier. Das gibt’s doch nicht. Was hat das hier bloß zu bedeuten?«
Kimmel kam mit kurzen Schritten den Uferweg entlang. Schon aus der Entfernung war zu sehen wie er schnaufte. Als er die Gestalt am Kies liegen sah, blieb er stehen und machte das, was man in Polizistenkreisen sich einen Überblick verschaffen nennt. Dann zeigte er Schielin mit einer kurzen Kopfbewegung an, dass er ihn sprechen wollte.
»Was ist passiert?«, wollte er wissen.
»Mann, um die vierzig. Er heißt Kubasch und arbeitet bei einer Firma Gepax. Die haben ihre Räume gleich da drüben in den alten Lagerhäusern an der Ladestraße. Ich habe ihn letzte Woche das erste Mal gesehen, als ich in Sachen Kandras unterwegs war.«
»Es besteht also ein Zusammenhang mit der Sache Kandras«, stellte Kimmel nüchtern fest.
»Davon kann man ausgehen.«
»Wissen wir auch schon welcher?«, fragte Kimmel und sah wie abwesend über die Wasserfläche hinweg in die Ferne.
Schielin blieb stumm.
»Hast du die Sache noch im Griff, Conrad?«
Auf diese Frage hatte Schielin bereits gewartet und seine Antwort kam prompt.
»Gib mir noch zwei Tage. Wenn wir dann nichts haben, müssen wohl andere ran.«
Kimmel knurrte. »Ich will die Kemptener nicht hier herunten an meinem See haben. Die sollen mal schön weiter von ihrem zukünftigen Präsidium und den vielen neuen Pöstchen träumen.« Dann wandte er sich Schielin zu »Haben wir eigentlich irgendeine Spur in der Sache Kandras? Ich bin noch gar nicht dazugekommen, die Berichte von letzter Woche zu lesen.«
Schielin nickte und erzählte ihm von Mondringer und Hoibner.
»Gut. Das ist doch ziemlich viel versprechend, wie ich meine. Was hast du jetzt vor? Brauchst du
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