Galgeninsel
und Pfeifen. Das könnte was werden, dachte Schielin. Doch Ronsard täuschte ein paar Mal Vorbereitungshandlungen an und ließ dann alle Aufregung im milden Plätschern der Leiblach verrinnen. Schielin war enttäuscht. Sehr enttäuscht.
Trotzdem schlief er in dieser Nacht gut und das Frühstück am nächsten Morgen fand in seltener Harmonie statt, was nicht zuletzt daran lag, dass alle rechtzeitig aus den Federn gekommen waren und der Tag nun ohne Hetze beginnen konnte. Zudem war es Freitag und die Aussicht auf das Wochenende, vielleicht sogar bei schönem Wetter, wirkte besänftigend. Die Stimmung war derart gut, dass sich Schielin traute, Laura und Lena zu fragen, ob ihnen der Name Kandras etwas sagen würde. Schließlich waren die beiden in etwa dem gleichen Alter wie Nora Kandras. Er bekam tatsächlich eine Antwort und nicht diesen Gesichtsausdruck zu sehen, der ihm vermittelte, am Abschmelzen der Polkappen, dem Klimawandel, Tiertransporten und sozialer Ungerechtigkeit Schuld zu tragen. Beide kannten Nora Kandras und sahen ihn nun erwartungsvoll an. »Und wie ist sie so?«, wollte er wissen.
»Wieso?«
Er ging nicht darauf ein. »Ist sie nett … umgänglich?«
»Na ja. Sie geht in die Sechste, ist aber in keiner Clique … sie steht immer ein wenig allein rum. Sie ist aber musikalisch irre begabt, macht bei Jugend musiziert mit. Klavier.«
Laura sah ihn, Desinteresse vortäuschend, aus den Augenwinkeln an und fragte betont nebenbei: »Ist was mit ihr?«
Schielin blieb stumm. Noch war die Pressemeldung nicht freigegeben. Niemand wusste offiziell um die Identität des Toten, der vor der Spielbank aus dem Wasser gefischt worden war. Es wäre unfair gewesen, seine Tochter mit einem solchen Wissen zu plagen.
*
Kurze Zeit später im Büro besprach er mit Lydia die Ergebnisse der Obduktion. In der Innenfläche der rechten Hand hatte man eine frische, noch nicht verheilte Schnittwunde festgestellt. Im Einschnitt konnte ein winziges Stück Muschelperlmutt gesichert werden. Sie hatten keine Erklärung dafür.
Die wichtigste Information bestand darin, dass Raimund Kandras ertrunken war. Somit stand fest, dass er noch am Leben gewesen sein musste, als das Wasser in seine Lungen eindrang. Allerdings konnte angesichts der massiven Kopfverletzung davon ausgegangen werden, dass er in bewusstlosem Zustand ins Wasser verbracht worden war.
Vor einem Rätsel standen die Rechtsmediziner angesichts der Beurteilung der Narbe auf Kandras Brust. Sie war zweifelsfrei die Folge einer schweren Verletzung, die Kandras mit einem stumpfen, kantigen Gegenstand beigebracht worden sein musste. Das Sonderbare bestand darin, dass diese Verletzung niemals mit gängigen medizinischen Maßnahmen versorgt worden war. Das legten Form und Ausprägung der Narbe nahe.
Schielin überlegte, welche Gründe es geben konnte, dass Kandras eine solche Verletzung ohne ärztliche Hilfe auskuriert hatte. Er wollte sich gerade mit Lydia darüber austauschen, als er Erich Gommert bewegungslos und lauschend im Türrahmen lehnen sah.
Sie waren derart in ihre Diskussion und Gedanken vertieft gewesen, dass er ihnen bisher gar nicht aufgefallen war. Allerdings war es auch die Eigenart von Gommert, leise am Gang auf und ab zu schleichen, beständig eruierend, wo Dinge abliefen, die ihn interessierten. Gommert war Zett Be Vau – er stand zur besonderen Verwendung bereit. Er hatte keinen eigenen Tätigkeitsbereich, versah manchmal mehr, manchmal weniger die formellen und verwaltungstechnischen Erfordernisse der Dienststelle. Er holte gerne Brotzeiten, organisierte Festivitäten, war für die Computer der Dienststelle zuständig, verbrachte viel Zeit im Büro des Chefs und lauschte unheimlich gerne. Er war das Mädchen für alles, böser Geist und gute Seele in einem – und, was kaum jemand bewusst wahrnahm, derjenige, der wesentlich für das Betriebsklima verantwortlich war und den Laden emotional zusammenhielt. Ganz sicher gehörte er nicht zu denjenigen, die einen Fall aufklären konnten. Aber er schuf ohne es selbst zu wissen, die Voraussetzungen dafür, dass genau dies von seinen Kollegen geleistet werden konnte. Im Augenblick jedoch war er für Schielin und Lydia böser Geist, denn die beiden konnten es nicht ausstehen, wenn Gommert sich anschlich und seine Lauscher stellte.
Lydia warf einen vernichtenden Blick in Richtung Tür und auch Schielin bemühte sich möglichst abweisend dreinzusehen, was ihm nicht so recht gelang. Er wusste ja, dass
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