Galgeninsel
begrüßte Marja mit einem flüchtigen Kuss, zog sich um und machte sich auf zu Ronsard. Der ließ sich bereitwillig das Halfter umlegen und folgte Schielin, der die beiden Friesen daran hinderte, ihnen zu folgen. Dann zog er mit dem Esel in Richtung Streitelsfingen davon. Hinter den letzten Häusern bog er vom Weg ab, querte eine alte Streuobstwiese und nahm den steilen Abgang, hinunter zur Leiblach. Unten angekommen, nahm Schielin das Führungsseil vom Halfter. Rechts des Weges plätscherte die Leiblach und über dem Weg schloss sich ein saftig grünes Blätterdach.
»Mein lieber Ronsard? Du schreist nicht mehr und die Frauen weinen nicht mehr, wenn ihre Männer ersäuft werden. Das macht mir Sorgen.«
Schielin wartete einen Moment, lauschte in den Wald, ob sie alleine waren und fuhr dann fort. »Es passt einfach gar nichts zusammen. Diese Frau und dieser – Kandras! Ich bitte dich! Sie sieht gut aus, sehr gut. Sie ist intelligent und hat offensichtlich ausreichend Geld. Das bedeutet – Unabhängigkeit. Aus welchem Grund heiratet sie diesen Kerl? Jeden hätte sie haben können!«
Er sah beim letzten Satz nach rechts. Ronsard war stehen geblieben, um einen Büschel Gras vom Wegrand aufzunehmen. Mit den wulstigen Lippen richtete er die Halme gekonnt zurecht und trat dann wieder an.
Schielin schnaufte. »Gut. Wir wissen nicht welche Qualitäten Kandras hatte. Aber deswegen muss man ja nicht gleich heiraten. Wozu? Woody Allen hat schon recht: Sex ohne Liebe ist eine wirklich dumme Sache. Aber von all den dummen Sachen in der Welt ist es die schönste.«
Schielin sah missmutig in den Wald. »Dann die Trennung. Sie kommt mir so unüberlegt vor wie die Heirat selbst. Nicht zu vergessen, dass die Ehe auf dem Papier noch existiert, seit Jahren! Aus geschäftlichen Gründen, wie sie angibt …« Er schüttelte den Kopf. Ronsard malmte im Takt mit seinen Schritten.
»Die Spurenlage ist eine einzige Katastrophe. Ätzend, sag ich dir. Das Auto weg. An der Leiche nichts was irgendwie verwertbar wäre. Kein Handy, kein Schlüssel, weder von der Wohnung noch vom Auto. Ich wette mit dir, dass die Handyortung nichts bringen wird, aber vielleicht steht der Porsche ja hier im Gebüsch und wartet nur darauf, dass irgendein Esel vorbeimarschiert …«
Ronsard trottete stumm neben her. Festigkeit lag in jedem seiner Schritte. Einzig die Fliegen, die er anlockte, und die ab und an hysterisch in Schielins Ohr sausten, sorgten für kurze Störungen.
Schielin führte seinen Monolog fort. »Bankdirektoren, die ihre Kunden vermissen? Du guter Gott? Mit geht es jetzt schon so wie meinem Großvater, der immer gesagt hat, die Welt sei verrückt geworden.«
Schielin hob den Zeigefinger in Richtung Ronsard: »Monsieur! Das ist gar nicht gut für den Tourismus hier am See, das kannst du mir glauben. Treibende Leichen vor der Seebrücke sieht man hier nicht gerne.«
Er vertrieb eine Fliege vom Ohr. »Dieser Kehrenbroich. Ein komischer Kerl. Ob der was mit der Anna Kandras hat? Das liegt doch eigentlich nahe und da wäre ja ein Motiv zu finden, aber …«, er unterbrach und sah nach rechts. Das Grasbüschel war verschlungen. Bei jedem Schritt federte jetzt eine völlig entspannte Unterlippe abwärts und wippte beleidigt nach. Es sah gelangweilt aus. Schielin richtete den Blick wieder nach vorne und sprach weiter: »… jedenfalls ist mir das zu einfach. Wir werden erst mal die Familienverhältnisse klären müssen. Es ist alles verworren. Einfache Dinge werden so kompliziert gemacht. Da war ich froh, endlich sicher zu sein, dass die Erde keine Scheibe ist, sondern eine Kugel. Kugel – ist doch ein so schönes Wort. Sagt da neulich so ein Wissenschaftler, nein, die Erde ist keine Kugel, sondern eine abgeplatteter Rotationsellipsoid. Ich bitte Dich, soll man es doch bei Kugel lassen. Außerdem klingt das andere fast wieder nach Scheibe, oder? Genau wie mit den Kühen. Die sind mit dran schuld, dass wir hier am See so tolles Wetter haben. Die produzieren derart viel Methangase mit ihrer Verdauung, dass sie die Erderwärmung mit vorantreiben. Stell dir das mal vor, durch Kuhfürze wird angeblich die Erde wärmer? Und es gibt schon Zeigefingergutmenschen, die fordern, wir sollten weniger Fleisch essen; wegen dem Klima.«
Er hatte den letzten Satz mehr sich selbst zugedacht, doch Ronsard blieb stehen und sog kräftig Luft durch die Nüstern, blies danach noch geräuschvoller aus. Es entstand ein jammernder Laut, angesiedelt zwischen Quietschen
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