Galgeninsel
niederschmetternd. Nach einer Zeit des Schweigens straffte sich sein Körper und er sah mit ruhigen Augen zu Schielin. »Ich werde nicht mit Ihnen kommen. Ich wüsste gar nicht weshalb. Sie können gerne mit meinem Anwalt reden, wenn Sie möchten.«
Schielin lächelte. »Sie sehen zu viele Krimis, Herr Hoibner. Das mit dem Anwalt ist nur für Leute, die verdächtigt werden. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie Zeuge sind. Sehe ich das vielleicht falsch?«
Hoibner schwieg.
»Besitzen Sie ein Boot? Und wenn ja, wo liegt es?«
»Am kleinen See«, lautete die lapidare Antwort. Schielin notierte den Liegeplatz.
»Was glauben Sie weshalb ihnen die Familie Mondringer so zu schaffen macht? Dafür muss es doch einen Grund geben? Bedroht er Sie nur oder fordert er auch etwas?«
Schielin sah die Frau eindringlich an. Sie wich seinem Blick aus, suchte den ihres Mannes, der den ihren nur kurz streifte. Verächtlich, wie Schielin glaubte gesehen zu haben. Keiner von beiden antwortete auf seine Fragen.
Was sollen sie auch sagen, dachte Schielin. Er schweigt aus taktischen Gründen, noch auf der Suche um der Situation, dem unerwarteten Druck zu entkommen. Seine Frau ist starr vor Angst. Stumm und bereits ganz gefangen von der Ahnung, dass sich ihr Leben verändern wird.
Schielin hob abweisend die Schultern und sagte gleichmütig: »Denken Sie an Kandras.«
So kühl wie er es sagte, musste es in beider Ohren wie eine Drohung klingen. Er wandte sich ab und ging zum Ausgang. Allein und ohne sich zu verabschieden.
Draußen blieb er einen Moment stehen. Mondringers Vater war also in die Fußstapfen seines Sohnes getreten. Das Verhalten der Hoibners zwang förmlich dazu, dahinter eine Spur zu vermuten, mindestens aber ein verdammt schlechtes Gewissen. Noch bevor er ins Auto stieg, rief er Lydia an und nannte ihr den Liegeplatz von Hoibners Boot. Sie sollte sich den Kahn gleich mal ansehen. Dann rief er auf der Wache an und bat um eine Recherche im Einwohnermeldesystem. Er musste unbedingt noch zu diesem Mondringer. Als er auflegte, spürte er Hunger. Er fuhr am Köchlin vorbei und holte sich eine warme Seele. Als Stammgast bekam man so was auch zum Mitnehmen. Er verschmierte das Handy, als er den Rückruf von den Kollegen annahm, die ihm Mondringers Adresse mitteilten. Ein Bauernhof in Unterreitnau.
*
Der Anruf Schielins kam Lydia nicht ungelegen. Den Koffer mit dem Zeug für die Spurensicherung hatte sie sowieso dabei. Ganz alleine wollte sie am Boot von Hoibner aber nicht rumfingern. Die auf der Wache hatten niemanden, der sie unterstützen konnte. Zwei Unfälle, ein randalierender Familienvater und Pferde auf der B31. Das blockierte alle verfügbaren Streifen und bei der Kripo war an einem Samstag sowieso niemand verfügbar. Ihr fiel eine Lösung ein. Sie steuerte ihr Auto die Zwanzigerstraße entlang, parkte den Wagen mehr schlecht als recht am Paradiesplatz und lief die letzten paar Meter bis zu Martins Wohnung.
Martin, das war ein verrückter Typ, den sie Vorjahren im Köchlin kennengelernt hatte.
Er war sich und den Idealen seiner Jugend treu geblieben – die lag lange zurück. Es war inzwischen etwas beschwerlich als fast Fünfzigjähriger, Klamotten, Haare und Figur in einem Zustand zu halten, als wäre die Zeit Anfang der Siebziger stehen geblieben. Lydia wunderte sich insgeheim darüber, wie es zuging, dass er immer noch diese langen, schwarzen, lockigen Haare tragen konnte. Keine Spur von Grau. Ob da wohl ein chemisches Mittelchen zur Anwendung kam? Das war der einzige Zweifel an seiner Authentizität; nichts an ihm wirkte peinlich oder aufgesetzt. Allein das mit den Haaren, das interessierte sie schon. Sie würde bei günstiger Gelegenheit vielleicht einmal das Bad genauer inspizieren müssen.
Sie klingelte und hörte von oben her das bekannte, blecherne Scheppern, sagte ihren Namen in die verdreckten Schlitze der Sprechanlage und wartete auf das Surren des Türöffners.
Die Wohnungstür oben im dritten Stockwerk stand offen, und fremde Laute drangen heraus. Aus der Küche war Klappern zu hören. Sie blieb stehen und lauschte, denn das Klappern kam ihr nicht fremd vor. Mozart. Das war eindeutig Mozart, was da zu hören war. Ein Klavierkonzert! Sie stand da und genoss, bis Martin kam und sie mit einem lapidaren »Hi« begrüßte.
»Das ist Mozart«, sagte sie und verbarg ihre Überraschung nicht. Ihr Blick folgte der dürren Gestalt Martins, der versuchte den Tisch von Gerümpel freizuräumen und einen
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