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Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian McGilloway
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abzuwischen. Er legte die Arme auf den Tisch und vergrub das Gesicht darin, sein gesamter Körper erbebte bei jedem neuen Schluchzer. Alle Enttäuschung, alle Wut, alle Schuldgefühle, die er seit dem Überfall auf seine Tochter verspürt hatte, brachen nun aus ihm hervor. Und ich tat das Einzige, was ich als Vater tun konnte. Ich rückte meinen Stuhl neben ihn, legte ihm den Arm um die Schultern und blieb bei ihm sitzen.
    »Ich weiß, dass Sie es nicht waren«, sagte ich ihm. »Es spielt keine Rolle, dass Sie es vorhatten oder dass Sie es getan haben könnten. Ich weiß, dass Sie es nicht waren. Das stimmt doch?«
    Schließlich sah ich, wie er zwischen zwei Schluchzern nickte. Ich nahm sein Geständnis und riss es entzwei, dann legte ich es vor uns auf den Tisch und wartete, bis er aufhörte zu weinen.
    Als er sich beruhigt zu haben schien, stand ich auf und legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. Dann wandte ich mich ab.
    »Sie können gehen, Mr   Purdy.«
    Als ich die Tür öffnete, rief er mich zurück. Ich drehte mich um. Er hatte sich im Sitzen zu mir umgewandt, sein Gesicht glänzte von den Tränen.
    »Ich war an seinem Zimmer, wissen Sie. Ich hätte es beinahe getan«, sagte er hastig.
    »Es spielt keine Rolle, Mr   Purdy, ob Sie es getan hätten oder nicht. Sie haben es nicht getan.«
    »Ich habe Sie herauskommen sehen«, erklärte er. »Und jemand anders hineingehen.«
    Ich bekam eine Gänsehaut und ließ die Tür wieder zufallen. »Wen?«
    »Ich kannte ihn nicht. Einen Priester.«
    »Sind Sie sicher?«, fragte ich und ahnte schon, wohin das führen würde. »Eindeutig ein Priester?«
    Er nickte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Er trug ein Kollar; mittleres Alter. Schwarze Haare.«
    »Wie lange war er da drin?«
    »Vielleicht ein, zwei Minuten. Das hat mich abgeschreckt; ich habe mich nicht reingetraut, es hätte ja noch jemand kommen können. Aber nach Hause konnte ich auch nicht; nicht ohne … Sie wissen schon.«
    Ich nickte. »Sie haben mir sehr weitergeholfen, Mr   Purdy.«
    Ich kehrte ins Krankenhaus zurück, um mich zu erkundigen, ob in der vergangenen Nacht ein Priester oder Pfarrer hier aus der Gegend im Haus gewesen waren, doch die Oberschwester war sicher, dass auf den normalen Stationen niemand gewesen war, höchstens auf der Intensivstation, falls man dort einen Priester für die Sterbesakramente geholt hatte. Ich vermutete allerdings, dass dies nicht der Fall gewesen war. Als ich ging, fiel mir etwas ins Auge. In einem Ständer im Foyer steckte zwischen Broschüren über Sexualhygiene und verantwortungsvollen Alkoholgenuss ein Stapel Blättchen, immer noch mit einem dicken Gummiband zusammengefasst. Der Titel, »Wende dich von der Sünde ab und vertraue auf mich«, war auffällig in Blockbuchstaben gedruckt.
    Eine halbe Stunde später holte ich Jim Hendry ab und machte mich mit ihm auf nach Coleraine.
    Bardwell lebte im Norden; dort würde man ihn auch festnehmen und ihn später an die Republik Irland ausliefern müssen, damit er vor Gericht gestellt werden konnte, falls er, wie ich vermutete, Danny McLaughlin aus Rache für dessen Mord an Jamie Kerr getötet hatte.
    Um elf Uhr waren wir in Coleraine, allerdings benötigten wir eine Weile, bis wir Bardwells Kirche ausfindig gemacht hatten. Schließlich fanden wir die Straße, eine kopfsteingepflasterte Fußgängerzone, auf der wir in unserem Wagen kräftig durchgeschüttelt wurden.
    Ich hatte erwartet, Bardwells Kirche sei ein herkömmlicher Kirchenbau. Stattdessen handelte es sich jedoch um das Obergeschoss eines Gewerbegebäudes, das außerdem ein Restaurant und ein Steuerberaterbüro beherbergte. Die Haustür stand offen und führte zu einer alten Holztreppe mit einem zerschlissenen Linoleumbelag in verblichenem Rot. Als wir oben ankamen, zog Hendry seine Waffe und bedeutete mir, dass er mich decken würde. Dann traten wir durch eine Glastür mit dem Schriftzug »Reverend Charles Bardwell« auf einen Korridor, von dem sechs Türen abgingen.
    »Reverend«, rief ich und drückte die erste Tür auf. Sie führte auf eine Toilette. Die zweite war die Küchentür, die dritte führte in ein Büro. Leise gingen wir den mit Teppich ausgelegten Korridor entlang und sahen der Reihe nach in sämtliche Zimmer. Die fünfte Tür war die einzige mit einem Schild: »Andachtsraum«.
    »Reverend Bardwell«, rief ich erneut und drückte die Tür auf. Hendry stand rechts von mir, den Körper an den Türpfosten gedrückt, die Waffe

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