Galgenweg
verlieren?
Als ich McLaughlins Krankenzimmer betrat, erwachte er. Unbeholfen setzte er sich im Bett auf, nahm sein Mobiltelefon vom Nachttisch und sah auf dem Display nach, wie spät es war. Er wirkte ein wenig benommen.
»Das dürfen Sie nicht«, sagte er. »Ich will meinen Anwalt.«
»Diesmal keine Anwälte, Daniel«, sagte ich. »Nur ein kurzer Plausch.«
»Was soll der Scheiß? He! Sie da draußen!«, rief er und meinte vermutlich den Uniformierten, der vor seiner Tür hätte stehen sollen.
»Da ist niemand, Danny«, sagte ich. »Ich habe ihm gesagt, er soll sich einen Tee holen. Hab gesagt, ich leiste Ihnen so lange Gesellschaft.«
Er musterte mich argwöhnisch. »Was wollen Sie? Mein Psychiater sagt, ich darf nicht gestört werden.«
»Ich dachte, das sind Sie schon.«
»Was?« Er fragte sich wohl, wo in meiner Bemerkung die Beleidigung verborgen lag.
»Sie sind zu jung, um an dem Castlederg-Postraub teilgenommen zu haben. Sie wären damals erst elf gewesen. Stimmt doch?«
Er starrte mich an, den Mund leicht geöffnet. »Hab ich ja auch nie behauptet.«
»Nein, das stimmt«, räumte ich ein. »Andererseits, warum hätten Sie Jamie Kerr ermorden sollen? Er stellte keine Bedrohung für Sie dar; er wollte den übrigen Bandenmitgliedern nur vergeben. Verstehen Sie, worauf das hinausläuft?«
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Raus hier.«
»Sachte, sachte, großer Junge«, sagte ich, denn ich spürte, dass er wütend wurde. »Ich will Sie nicht hereinlegen. Ich mache mir Sorgen um Sie.«
»Sorgen um mich«, schnaubte er. »Wieso das denn?«
»So, wie ich die Dinge sehe, bestand die Castlederg-Bande aus vier Leuten, unter anderem Jamie Kerr. Kerr wusste, dass Ihr Schwager auch dazugehörte. Er hat ihn darauf angesprochen, und kurz darauf hing er am Baum. Jamie hatte Decko bei Ihrer Schwester zu Hause gesehen und ihn an den Aknenarben erkannt. Er hat sich mit Decko und dem anderen Bandenmitglied verabredet. Kerr wurde von Ihnen gekreuzigt.« McLaughlin wollte widersprechen, doch ich brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und fuhr fort: »Und dann wurde Decko im Garten hinter seinem Haus erschossen, nachdem er von uns vernommen worden war. Damit bleiben Sie übrig, Danny – aber Sie sind zu jung. Jemand hat Sie dazu gebracht, die schmutzige Arbeit für ihn zu erledigen. Stimmt doch?«
»Leck mich«, fauchte er.
»Das verstehe ich als ›ja‹«, entgegnete ich. »Die Sache ist die, Danny, derjenige versteht sich richtig gut darauf, hinter sich aufzuräumen. Keiner, der mit ihm in Verbindung stand oder ihn hätte identifizieren können, lebt noch. Außer Ihnen.« Ich machte eine Pause, damit meine Worte auf ihn einwirken konnten. »Bis jetzt.«
McLaughlin ließ sich ein wenig nach unten rutschen und kniff argwöhnisch die Augen zusammen.
»Glauben Sie wirklich, derjenige lässt Sie friedlich hier oder später im Gefängnis sitzen, obwohl er weiß, dass Sie ihn jederzeit verpfeifen können? Ihre Tage sind gezählt, Danny. Machen Sie sich da bloß nichts vor.«
McLaughlin stützte sich auf einen Arm und setzte sich aufrecht hin.
»War’s das?«, schnaubte er verächtlich. »Verpissen Sie sich.«
»Einen Versuch war’s wert, Danny«, sagte ich. »Aber denken Sie dran – jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, könnte es Ihr Freund sein, der Ihnen seine Aufwartung machen will. Halten Sie Ihren Kopf nicht für jemand anders hin.«
»Spinnen Sie doch nicht rum«, gab er zurück, legte sich wieder hin und starrte an die Decke.
Ohne mich nochmals umzusehen, ging ich aus dem Zimmer. Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass McLaughlin mir gegenüber ein Geständnis ablegen würde. Doch nachdem ich die Daumenschrauben noch ein wenig angezogen hatte, würde er, so hoffte ich, zumindest ein wenig das Vertrauen in seinen Auftraggeber verlieren.
Draußen vor seinem Zimmer sah ich mich nach dem Uniformierten um, den ich in die Cafeteria geschickt hatte. Schlagartig fühlte ich mich sehr erschöpft, und da ich vermutete, der Mann werde nicht mehr lange fort sein, ging ich hinaus zu meinem Streifenwagen und fuhr nach Hause.
24
Samstag, 19. Juni
Am nächsten Morgen wurde ich um halb sieben davon wach, dass jemand an unsere Haustür hämmerte. Ich rannte die Treppe hinunter, ehe die Kinder von dem Lärm wach werden konnten, und sah durchs Fenster, wer vor der Tür stand. Dempsey trat gerade einen Schritt zurück und blickte nach oben zu den Schlafzimmerfenstern.
»Ziehen Sie sich an«, fuhr er
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