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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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Fahrradverkäufer dazu, eine Schweineunterführung zu bauen, damit seine Tiere nicht über die Landstraße grunzen mussten, wenn sie vom Stall aufs Feld getrieben wurden. Arbeitszeiten gab es nicht, Weihnachtsgeld nur ein einziges Mal, an einem feierlichen Sonntagmorgen. «Dazu hat er Harmonium gespielt», sagt Hanne. «Alle mussten sich in eine Reihe stellen, es gab fünf Mark für jeden, und dann hat Heinrich eine herzzerreißende Rede gehalten: Es gebe Menschen auf dieser Welt, die hätten fünf Mark noch nie gesehen, zum Beispiel die Waisenkinder in Afrika. Alle waren zu Tränen gerührt, Heinrich ging mit dem Hut rum und sackte das Weihnachtsgeld wieder ein. Aber eine Spendenquittung haben wir nie gefunden.»
    Warum der Despot so war, wie er war? Weil man ihn ließ. In der Familie und im Fahrradhandel hieß es immer: Der Herrgott wird’s schon richten. Und so trieb Heinrich das Unternehmen ungestört an den Rand des Ruins, unterdrückte seinen Sohn und betrog seine Ehefrau in der Firmengarage mit der Sekretärin – und jeder hat’s gesehen. Der Herrgott richtete, allerdings auf seine Weise. Meine Urgroßmutter ließ er früh an gebrochenem Herzen sterben, Heinrich schien er zu lieben. Der Patriarch heiratete seine Tippse und erlebte im hohen Alter die Gnade des sanften Killers Cholesterin. Er ließ sich jeden Tag eine Schwarzwälder Kirschtorte backen, und später entdeckte er sein Faible für Pommes. Das machte Heinrichs Bauchspeicheldrüse nicht mit. Zwischen den heiß und fettig geliebten Kartoffelstäbchen schied er friedlich lächelnd dahin. «Ich habe nie eine so glückliche Leiche gesehen», sagt meine Mutter. «Er sah großartig aus. Ich war entsetzt.»
    Zur Beerdigung kam Heinrichs Gespielin zu spät, sie war Einkaufen, und niemanden wunderte es. Überhaupt schien es, als seien die Kameraden aus dem Schützenverein die Einzigen, die wirklich trauerten. «RUHE SANFT!», brüllten sie im Chor, und Hanne flüsterte: «Man stille, man stille. Nicht, dass der Alte wieder wach wird.» Es war ein kalter, klarer, sonniger Tag. Doch als man den Sarg in die Erde ließ, donnerte es. Genau einmal. Mitten im November. «Da hab ich deiner Mutter in die Rippen gehauen und gesagt: Guck, jetzt isser oben angekommen. Sollen die sich doch mit ihm rumschlagen! Was glaubst du, wie wir uns an dem Abend die Mütze aufgedreht haben! Huuuuuch!»
    Das Mondlicht fällt in den Wintergarten, Hanne macht sich auf den Heimweg, und es gibt Geschenke. Allerlei Nützliches für die Reise. Eine riesige Tube Aloe-vera-Zahnpasta von Oma und ein Fläschchen Ballistol-Gewehröl von unserer Nachbarin. Angeblich tupft sie es immer auf ihre Schürfwunden, wenn sie mal gestürzt ist. Es soll aber auch gegen Verspannungen helfen. Und gegen Schuppen. Aber da ist noch etwas, eine rätselhafte Messingscheibe, nicht größer als ein Unterteller. Auf der Oberseite ist ein kleiner Golfschläger abgebildet, auf der Unterseite ist ein merkwürdiger Schriftzug eingraviert:

    Campionato internazionale dilettanti 1960

    «Was soll das sein?»
    «Das, mein lieber Dennis», sagt meine Mutter, «hat der alte Heinrich mal aus dem Italienurlaub mitgebracht.»
    «Er hat Golf gespielt?»
    «Nur ein einziges Mal. Sein Betthäschen wollte eigentlich an die Küste, aber Heinrich war doch so wasserscheu. Da hat er sie an den Haaren in ein Golfhotel geschleppt. Und jetzt rate mal, wie der Laden heißt?»
    Ich zucke mit den Schultern.
    «Golf Club & Resort San Matilde di Canossa. Nur zehn Kilometer von der Burg Canossa entfernt.»
    «Das ist ein Scherz.»
    «Nein, das ist ein Zeichen!»
    Und auf einmal wird mir klar, warum ich den Gang nach Canossa antrete. So wie Heinrich IV. sich vom päpstlichen Bann befreien musste, werde ich meine Familie vom Fluch des alten Heinrich erlösen. Welt, mach dich bereit: Frodo trug den einen Ring nach Mordor und warf ihn ins Höllenfeuer, ich werde diese dilettantische Golfplakette zurück über die Alpen tragen und dort begraben.

[zur Inhaltsübersicht]

    Kapitel 4
    Die Prophezeiung
    (Irgendwo in NRW)
    W orin liegt der wesentliche Unterschied zwischen den Landstraßen in Niedersachsen und denen in Westfalen? Ein Rettungssanitäter hat ihn mir mal erklärt. Mitten in der Nacht rief ein sturzbetrunkener Fahrradfahrer, der schwer verletzt am Straßenrand kauerte, um Hilfe. Er hatte sich den rechten Fuß gebrochen, die Schulter ausgerenkt und war mit dem Gesicht auf dem Asphalt aufgeschlagen. Bald stellte sich heraus, dass der junge

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