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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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Mann exakt auf der Landesgrenze lag. Was war passiert? Der Radler wohnte in Salzbergen/Niedersachsen und hatte eine ordentliche Scheunenparty in Rheine/Westfalen besucht. Auf dem Rückweg machte er sich einen Spaß daraus, während der Fahrt mit Karacho gegen die schwarz-weißen Leitpfosten zu treten. Die Dinger wackelten immer so lustig hin und her, wenn er sie Vollspann traf. Was er nicht wusste: In Westfalen sind die Leitpfosten beweglich, sie haben unten am Fuß ein Gelenk. In Niedersachsen nicht.
    Meine Heimatstadt Osnabrück liegt direkt an der Grenze zu NRW, und ihre Bewohner sind stolz darauf, Niedersachsen zu sein. Mit Westfalen verbinden die Osnabrücker eigentlich nur Schlechtes, vor allem Arminia Bielefeld. Entsprechend skeptisch setze ich am Mittag den ersten Fuß in dieses fremde Bundesland.
    Plötzlich klingelt mein Handy. Es ist meine Mutter. Aufgelöst. Fast hysterisch. Sie müsse mir etwas beichten, sie habe die ganze Nacht nicht geschlafen, und überhaupt: Es tue ihr alles so unfassbar leid.
    «Dennis, diese Canossa-Scheibe deines Urgroßvaters …»
    «Ja?»
    «Sie ist aus einem Antiquitätenladen.»
    «Nein.»
    «Schatz, aber hätte es nicht wunderbar gepasst?»
    Ich muss lachen. Meine Mutter liebt es, mich aufs Glatteis zu führen. Weil ich ein so neugieriges und nervtötendes Kind war, schickte sie mich im Winter gern schon nachmittags um vier ins Bett. Warum? Weil ich die Uhr noch nicht lesen konnte. Und als Proviant für die Klassenfahrt steckte sie mir Wachsäpfel in den Rucksack.
    «Und jetzt?»
    «Jetzt gehst du zu Lotte. Sie weiß schon, dass du kommst.»
    Natürlich weiß sie, dass ich komme, Lotte ist eine Art Hellseherin, ein Medium, das Gastmannsche Familienorakel. Ohne ihren Rat geht bei uns gar nichts. Lotte entscheidet, welches Auto wir kaufen, wohin wir in den Urlaub fahren und welche Krankheiten wir haben. Oder besser: Sie sieht es in ihren Karten. Und bevor jemand von uns nach Canossa geht, sollte er einmal mit Lotte gesprochen haben.
    Lottes wahren Namen darf ich übrigens nicht verraten, auch nicht das Dorf, in dem sie wohnt. «Ich hab keinen Bock, dass mir die Leute die Bude einrennen», sagt sie immer, «und ich will auch nicht ins Fernsehen. Was soll ich olle Prolltante denn bei Markus Lanz?» Nur so viel sei verraten: Lotte sammelt keine Glaskugeln, sie trägt keinen Raben auf der Schulter und wohnt auch nicht in einem Zelt auf dem Jahrmarkt. Stattdessen hat sie eine Schwäche für Burt-Reynolds-Filme und Currywurst.
    Mit einem satten Krachen reißt sie die Tür ihres Neubauhäuschens auf, umarmt und zerquetscht mich: «Peng, da bin ich wieder! Der Knallfrosch aus’m Kohlenpott! Na, du alte Pfeife, wie kann ich dich verarzten?» Mein Rucksack dürfte seit gestern Abend etwa fünfzehn Kilo wiegen, ich taumle in den Flur und bin ein leichtes Opfer für Harry. Der hünenhafte Bobtail springt an mir hoch und wirft mich rücklings auf die Fliesen. «Na komm, Dennis!», ruft Lotte mir zu, während ich mit dem Vieh im Nahkampf liege. «Riech mal den Hund!» Dieser Spruch ist ein Insider. «Riech mal den Hund!» war der erste Satz, den ich zu Lotte sagte, als wir uns vor fünfundzwanzig Jahren kennengelernt haben. Ich kam aus der Schule, hatte meinen Pudelmischling mit Unmengen Schauma, Guhl oder Duschdas gewaschen und rannte der lustigen Unbekannten mit dem penetrant duftenden Köter hinterher: «Tante Lotte, riech mal den Hund! Riech mal den Hund!» Das hat sie nie vergessen.
    Um ehrlich zu sein, ich hielt Lotte immer für etwas dumpf. Zu laut, zu derb, zu vulgär. Bis sie mir eines Tages die Karten legte. Ich hatte unendlichen Liebeskummer, und Lotte zog Geheimnisse aus meinem Herzen, die nur ich alleine kannte. Eher hätte ich mir den linken Fuß abgesägt, als sie irgendjemandem zu gestehen. Lotte öffnete die Abstellkammer meines Lebens, holte uralte Gefühle aus dem Regal, pustete den Staub von ihrer Oberfläche und fragte: Können die weg? Und nachdem sie mein Unterbewusstsein komplett durchwühlt hatte, zündete sie sich zufrieden eine Marlboro an und pfiff: «Hast gedacht, ich wär ’n bisschen blöd, ne? So ist das mit mir. Bevor ich irgendwo ankomme, ist mein schlechter Ruf schon da.»
    Spiritualität liegt in Lottes Familie. Ihr Vater war ein Spökenkieker. «Der sieht Gespenster!», sagten die Leute im Dorf, tatsächlich aber sah er Hormone. Mit einem einzigen Blick konnte er erkennen, ob ein Mädchen schwanger war oder nicht. Fehlerquote: angeblich null. Und so

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