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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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selbst zu einer Tour aufgebrochen ist. Zuvor gab er mir noch die Handynummer eines Bergführers, den er persönlich kenne und der, wie er schrieb, schon über mich Bescheid wisse. Er besitze auf der italienischen Seite des Massivs ein Sportgeschäft und werde mich in Kürze mit allem nötigen Equipment über die Gipfel bringen. Das muss ein Scherz sein, dachte ich mir, als ich den Namen des Guides las. Kein Mensch auf dieser Welt heißt ernsthaft «Alberto Bolognesi». Mal abgesehen von Werbefiguren.
    Tatsächlich aber soll Bolognesi zu den verwegensten Kletterern des Piemont gehören. Italienische Zeitungen nennen ihn eine Legende. Es heißt, schon in den Achtzigern habe er Berge von «maximaler Schwierigkeit» bezwungen. Fotos zeigen ihn, wie er ohne Sicherung an senkrechten Felswänden hängt und müde lächelnd von den höchsten Spitzen der Alpen grüßt. Außerdem soll Alberto ein leidenschaftlicher und spektakulärer Skifahrer sein. Sein Shop «Albysport» wirbt mit dem hübschen Slogan: «If skiing is your drug, I’m your dealer!» Dummerweise geht mein Dealer seit Tagen nicht an sein Telefon, und mir bleibt nur übrig, zu warten, Country zu hören und bis in den Abend zu schlafen. Dann lasse ich mich bekochen. Der Kellner steht in weißem Hemd und schwarzer Hose im völlig leeren Restaurant und hat schon auf mich gewartet. «Wo möchten Sie Platz nehmen, Monsieur?», fragt er, und ich setze mich an einen Tisch in der Mitte des Raums. Putensalat, Rinderbrühe mit Hackfleischklopsen, Schmoreintopf mit Weißkohl und Sauerkraut, Käsekuchen – gute Nacht.
    Neun Uhr morgens. Statt Alberto Bolognesi meldet sich wieder John Denver. Er sei noch immer auf der Landstraße nach West Virginia unterwegs, wo die Blue Ridge Mountains und der Shenandoah River lägen. Ich wünsche ihm eine gute Weiterreise, sättige mich mit Weißbrot, flüchte aus dem Hotel und mache einen Verdauungsspaziergang durch Lanslebourg. Im Grunde besteht das Sechshundert-Seelen-Dorf nur aus einer Straße, der Rue du Mont Cenis. Trotzdem findet sich hier alles für den perfekten Winterurlaub: Es gibt einen Skiverleih, eine Enzian-Bar, und die Blumenkästen auf den großen Holzbalkonen der Touristenappartements sind mit Geranien bepflanzt. Außerhalb der Saison kommt das Leben in Lanslebourg allerdings völlig zum Erliegen. Wer nicht in den Ferien ist, verschanzt sich hinter Gardinen vor der unerträglichen Hitze. Es ist so schwül, dass man sich nur morgens oder spätabends vor die Tür wagen kann. Diesen Abend bin ich, wie die Tage zuvor, schon verabredet: «Haben Sie noch einen Platz frei?», frage ich den Kellner, und er grinst. Gurkensuppe, Kartoffelklöße, schlesisches Bauchfleisch mit Zwiebeln, Honigkuchen mit Grießfüllung. Und zum Runterspülen ein Bier mit Pfirsichsirup.
    Neun Uhr morgens. John Denver rüttelt mich wach. Er sagt, das Leben in West Virginia sei älter als die Bäume und jünger als die Berge. Oh Country Roads, bete ich, bringt diesen Mann doch endlich in seine geliebte Heimat. Denver textete diesen Song übrigens direkt nach einem Autounfall, und er starb bei einem Flugzeugabsturz. Will das Schicksal mir damit irgendetwas sagen? Keine Neuigkeiten von Bolognesi, Frühstück, Spaziergang durch Lanslebourg. Die Maskottchen der Stadt sind übrigens Murmeltiere, die Ratten der Alpen. Offenbar lassen sie sich gut vermarkten. Es gibt ein geschlossenes Murmeltier-Hotel, ein geschlossenes Murmeltier-Restaurant, und hinter den Schaufenstern der geschlossenen Souvenirläden liegen Murmeltier-Fingerhüte, Murmeltier-Schlüsselanhänger, Murmeltier-Geschirr, Murmeltier-Schnaps und Mini-Murmeltiere auf Skiern. Sitze ich wie Bill Murray in einer Murmeltier-Zeitschleife fest? Muss ich mich erst läutern, um weiterzukommen? «Warum stehen Sie eigentlich so sehr auf Country?», frage ich den Kellner am Abend. «Die Musik beruhigt mich», antwortet er. Tomatensalat, Pilzsuppe, Käsefondue für zwei Personen. Gute Nacht.
    Neun Uhr morgens. John Denver freut sich auf die Blue Ridge Mountains und den Shenandoah River in seiner Heimat West Virginia. Ich wünsche ihm die Autobahnpolizei an den Hals, kreise wie ein Tiger in meinem Hotelzimmer und kratze an den rosa gesprenkelten Naturfasertapeten. Runter ins Restaurant, Frühstück, Spaziergang durch Lanslebourg, schlafen, Mittagessen, Murmeltier-Souvenirs gucken, schlafen. Mir bleiben jetzt exakt drei Möglichkeiten. Erstens: Tod durch Countrymusik. Zweitens: Tod durch Völlerei. Drittens: Tod

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