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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Piñeiro
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wollte sie in die Garage, aber plötzlich stand sie im Wohnzimmer. Sie drehte ein paar Runden um den Couchtisch und schenkte sich zuletzt einen Whisky ein. Sie trank ihn, ohne die Flasche in die Bar zurückgestellt zu haben. Das Glas ließ sie stehen. Die Flasche nicht. Sie ging hinaus, zur Garage. Dort angekommen, schloss sie hinter sich die Tür. Sie näherte sich der Wand am anderen Ende, zog den Ziegelstein hervor und wollte schon alles rausnehmen, was sich dahinter verbarg. Aber im letzten Moment hielt sie inne, ließ alles stehen und liegen und ging noch einmal in die Küche. Eine Weile suchte sie vergeblich nach den Gummihandschuhen. Bis sie achtlos die Tassen in der Spüle zur Seite schob: Da waren sie, unter den Resten vom Frühstück. Nass und schmutzig. Sie wusch sie und trocknete sie ab. Sie streifte sie über und ging zurück zur Garage. Jetzt nahm sie die Sachen aus dem Versteck in der Wand. Nach einigem Überlegen tat sie alles in den Werkzeugkasten. Dessen Inhalt kippte sie zuvor auf den Boden. Dafür fanden jetzt die Briefe der Deinen, die Nacktfotos von Ernesto und die Schachtel mit den Kondomen darin Platz. Sie schloss den Werkzeugkasten, tat alles Übrige wieder in die Mauernische und legte den Ziegelstein davor. Nur die Pistole fehlte. Sie ging zu ihrem Wagen und öffnete den Kofferraum. Die Pistole lag unter dem Ersatzreifen, seit dem Tag, an dem sie sie aus Alicias Wohnung mitgebracht hatte. Vorsichtig nahm sie die Pistole an sich und legte sie ebenfalls in den Werkzeugkasten. In einer Hand den Kasten, in der anderen die Whiskyflasche, kehrte sie ins Haus zurück. Die Flasche stellte sie wieder in die Bar, den Kasten auf die Theke. Sie ging in die Küche, legte die Handschuhe zurück in die Spüle, drehte den Hahn auf und wusch sich ausgiebig das Gesicht mit kaltem Wasser.
    Ab sofort waren die Karten neu verteilt.

23
    Ernesto und Charo küssten sich, während sie mit der Rolltreppe zum Wartebereich hinauffuhren.
    Daran gab es nichts zu beschönigen, ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Und ich traue meinen Augen. Bestenfalls hätte ich die Augen schließen können, aber dafür war es zu spät. Das Brot war mal wieder auf der Butterseite gelandet, so war es. Aber obwohl Ernesto und Charo sich eindeutig und unbestreitbar auf der Rolltreppe geküsst hatten, begriff ich weiterhin nicht, wie das alles zusammenhing. Denn was ich gesehen hatte, konnte alles Mögliche bedeuten, auch diametral entgegengesetzte Schlussfolgerungen ließen sich ziehen. Ich dachte den ganzen Tag darüber nach. Am späten Nachmittag herrschte in meinem Kopf ein derartiger Wirrwarr, dass ich völlig unfähig war zu sagen, welche der bis dahin durchgespielten Möglichkeiten ich bereits verworfen hatte und welchen ich immer noch ein höheres oder geringeres Maß an Glaubwürdigkeit zugestehen sollte. Da kam ich auf die Idee mit dem Schaubild. Immer wenn in der Schule ein komplizierter Stoff zu bewältigen war, zeichnete ich mir ein Schaubild auf, eine Grafik voller Hinweispfeile und Abkürzungen, alles schön knapp und übersichtlich, was mir, auch wenn es nicht unbedingt zu größerer gedanklicher Klarheit verhalf, doch wenigstens ein wirksames Instrument in die Hand gab, um Licht in das Dunkel zu bringen. Ich war nie besonders gut in der Schule. Ich hatte wenig Interesse am Lernen und dachte lieber an andere Dinge. Anfangs trug mir das einige Schwierigkeiten ein. Oft hatte ich Angst, vor den anderen als Idiotin dazustehen. Bis zu dem Nachmittag – es muss in der fünften Klasse gewesen sein –, als ich versuchte, mir die Namen der verschiedenen Arten von Dreiecken einzuprägen: gleichseitig, gleichschenklig, ungleichseitig. Woran ich regelmäßig scheiterte, waren die gleichschenkligen Dreiecke. Ich kam mir schon selbst wie eine Idiotin vor, las die Definition immer wieder durch, aber sobald ich das Heft zuschlug, war alles wie ausgelöscht. So als hätte ich tatsächlich einen leichten Dachschaden. Mama bemerkte meinen Kummer und sagte: »Mach dir nichts draus, wenn es etwas gibt, was du nie in deinem Leben brauchen wirst, sind das gleichschenklige Dreiecke.« Womit sie recht hatte – was bekommt man in der Schule nicht alles an überflüssigem Schwachsinn eingetrichtert! Oder würde mir etwa ein gleichschenkliges Dreieck bei der Lösung meines Problems mit der Deinen helfen? Dreiecke wie das, womit ich es hier zu tun hatte, kommen im Unterricht nicht vor, da war ich ganz auf meine eigene Intelligenz angewiesen. Was

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