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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Piñeiro
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verschwinden. Andernfalls hätte Ernesto sich wieder einzig und allein um sie gekümmert. Das war gar nicht so einfach. Ich glaube, sie blieb nur deshalb unten, weil sie merkte, dass ich sie nicht dahaben wollte. Dabei sagte sie kein Wort. Sie sah mich bloß merkwürdig an, als ob sonst was wäre. Weibliche Teenager genießen es, ihre Eltern zu quälen. Als wollten sie sich an uns für irgendetwas rächen – aber wofür? Sie sind alle gleich: selbstgerecht, verbiestert und verstockt. Man braucht sie bloß um etwas zu bitten, damit sie genau das Gegenteil davon tun. Aber an diesem Abend hatte ich ganz bestimmt nicht vor, einer streitsüchtigen jungen Dame aus ihren Nöten zu helfen. Also provozierte ich sie. Ich brachte das Gespräch auf ein Thema, bei dem Ärger vorprogrammiert ist. Es gibt mehrere solche Themen. Ich hätte zum Beispiel damit anfangen können, dass sie gefälligst endlich ihr Zimmer aufräumen solle, oder eine ihrer Freundinnen schlecht machen, weil die immer auf so verrückte Ideen kommt. Aber um hundertprozentig sicherzugehen, wählte ich ein Thema, bei dem Lali unweigerlich die Fassung verliert – das Essen. Ich sagte, ich fände sie ganz schön dick, in der letzten Zeit esse sie wohl ein bisschen viel, bei ihr sei das nicht wie bei mir, ich könne so viel essen, wie ich wolle, ich würde einfach nicht dick, wenn sie so weitermache, werde sie noch die reinste Tonne, und den Jungs gefalle so etwas heutzutage überhaupt nicht. Dann hielt ich ihr einen Artikel über eine Diät unter die Nase, den ich für sie aufbewahrt hatte. Es klappte. Sie schleuderte mir die Zeitung ins Gesicht, schrie: »Mann, bist du doof!« und schloss sich heulend in ihrem Zimmer ein. Ernesto kam erst um Viertel vor elf. Die Blütenessenz duftete mittlerweile nach verbranntem Zucker. Er aß nur ein paar Kartoffeln. »Ich habe bis spät gearbeitet und nebenbei was Kleines gegessen.« Ich fragte vorwurfsvoll, warum er nicht angerufen habe. »Stimmt, ich habe nicht angerufen«, war alles, was er dazu sagte.
    Wir gingen hinauf. Als ich in meinem Babydoll aus dem Bad kam, hatte Ernesto schon das Licht ausgemacht. Ich schaltete es wieder an, aber er hielt die Augen geschlossen. Ich schaltete das Licht wieder aus und rieb meinen Fuß an seiner Wade. Sofort zog er sein Bein zurück. Wahrscheinlich habe ich kalte Füße‹, sagte ich mir. Ich versuchte es auf direkterem Wege: »Kommst du, Erni?« Ernesto schaltete die Nachttischlampe an, griff nach einem himmelblauen Ordner, der danebenlag, schlug ihn auf und fing an zu lesen. »Ich bin ziemlich nervös wegen der Reise, Inés. Ich muss auf dem Kongress eine Präsentation abhalten, das lässt mir einfach keine Ruhe. Ich würde lieber noch ein bisschen darin lesen, dann schlafe ich entspannter.« Jeder entspannt auf seine Art. »Schon gut, Ernesto, ruh dich aus«, sagte ich und zog die Decke hoch.
    Am nächsten Morgen fragte ich, ob ich ihn zum Flughafen bringen solle. »Lass nur, die Firma schickt einen Wagen«, antwortete Ernesto. Er ging hinauf, um Lali Tschüs zu sagen. Er blieb eine ziemliche Weile bei ihr. Sie heulte ihm bestimmt etwas vor wegen meines Streits mit ihr vom Vorabend. So war das immer, sie verdrehte ihm den Kopf und wiegelte ihn gegen mich auf, schon als sie noch ganz klein war. Außerdem waren sie schier unzertrennlich, sie brauchten eine Ewigkeit, um Abschied voneinander zu nehmen – wenn einer der beiden verreiste.
    Wenn ich mal irgendwohin fuhr, wurde nie so ein Theater gemacht. Schon gar nicht von Lali. Ich sah sie vor mir, sie blickten sich in die Augen, tauschten zärtliche Worte, Lali weinte ein paar Krokodilstränen, er tröstete sie. Als käme er nie mehr zurück!
    So sind die beiden, immer müssen sie übertreiben, jedes Mal das gleiche Spektakel.

20
    »Schläfst du?«
    » … «
    »Lali … «
    »Was willst du, Papa?«
    »Mich verabschieden. Ich bin bis Montag fort.«
    »Ciao.«
    »Bekomme ich keinen Kuss?«
    »Lass mal, Papa, ich fühle mich nicht gut.«
    »Hast du Kopfschmerzen?«
    »Nein.«
    »Was denn dann?«
    »Mir ist schlecht, ich glaube, ich muss mich übergeben.«
    »Was hast du gestern zu Abend gegessen?«
    »Nichts, Papa, gar nichts habe ich gegessen.«
    »Lali, das ist nicht gut für dich. Deswegen ist dir bestimmt schlecht.«
    » … «
    »Soll ich Mama sagen, dass sie dir das Frühstück bringt?«
    »Nein!«
    »Du fängst doch jetzt nicht etwa mit diesem Quatsch an von wegen zu dick sein und dauernd Diät machen und so, oder?«
    »Heute

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