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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Piñeiro
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Zucker über den Schoß gekippt hatte.

32
    »Es tut weh!«
    »Das weiß ich, Kleine. Entspann dich, so gut es geht, ich muss dich jetzt abtasten.«
    »Was heißt das?«
    »Ich will wissen, ob du schon ein bisschen aufgegangen bist.«
    »Ich hab Angst … «
    »Keine Sorge, Kleine, ich werde bloß mal tasten, aber das hast du noch nie machen lassen, stimmts?«
    »Ja.«
    »Glück gehabt, alles in Ordnung.«
    » … «
    »Schon gut, weine nicht, gleich hast du dein Kleines im Arm. Jetzt entspann dich noch mal, los.«
    » … «
    »Siehst du, ist doch gar nicht so schlimm, meine Liebe, ein kleines Stückchen noch, einen Fingerbreit … «
    » … «
    »Ein paar Sekunden noch, gleich bin ich fertig.«
    » … «
    »Entspannen bitte, sonst gehts nicht.«
    » … «
    »Da spür ich das Köpfchen.«
    » … «
    »Nicht weinen, Kleine.«
    » … «
    »Also gut, ich lasse sofort einen Platz im Kreißsaal reservieren. Sechs Zentimeter ist der Spalt schon breit. Gleich gehts los!«
    »Ich habe Angst!«
    »Aber wieso denn!«
    » … «
    »Immer mit der Ruhe, das ist überhaupt nichts Besonderes.«

33
    Inés stieg in ein Taxi und ließ sich nach Hause fahren. Sie ging in die Küche. Sie trat an die Spüle und zog sich die Gummihandschuhe an. Dicke, orangefarbene Gummihandschuhe, Größe M. Sie bewegte die Finger in der Luft, als wollte sie bestimmte Bewegungen ausprobieren. Sie kam sich steif und ungeschickt vor, zerrte die Handschuhe von ihren Händen, schmiss sie wütend an die weiß gekachelte Wand, genau dahin, wo das Brettchen für die Teekanne und die weiß-blaue Tasse angebracht war. Sie ging aus der Küche und hinauf in ihr Zimmer. Auf der Treppe knickte sie mit dem Fuß um. Die letzten Stufen konnte sie nur noch humpelnd hochsteigen, weswegen sie ihr Tempo jedoch nicht verlangsamte. Sie stieß die Zimmertür auf, dass sie an die Wand knallte, und ging hinein. Sie trat an ihren Kleiderschrank und wühlte darin herum. Fach für Fach, Schublade für Schublade. Sie fand das Gesuchte nicht. Sie machte eine kurze Pause und überlegte. Da fiel es ihr ein. Sie ging in Lalis Zimmer. Zum Glück war Lali noch nicht zurückgekommen.
    Sie stieg auf einen Hocker und langte ans hintere Ende im obersten Fach des Schranks ihrer Tochter. Suchend bewegte sie den Arm hin und her. Schließlich erschien ihre Hand wieder. Sie hielt eine Plastiktüte. Inés stieg von dem Hocker, öffnete die Tüte und holte ein vergilbtes Kleid hervor, das einmal weiß gewesen war. Lalis Kommunionskleid. Sie warf es auf den Boden. Ebenso die dazugehörige Haube, das Körbchen für die Heiligenbildchen, einen Rosenkranz. Als Nächstes zog sie einen Handschuh aus der Tüte. Sie kontrollierte, ob es der rechte war. Nur mit Mühe konnte sie ihn überziehen. Er war klein und im Lauf der Jahre ganz steif geworden. Sie packte hastig alles wieder zusammen und ging zurück in ihr Zimmer. Den Handschuh ließ sie an. Sie ging direkt zu Ernestos Nachttisch, holte die Pistole heraus, die einst Alicia gehört hatte. Und die Patronen, die einst in der Pistole gesteckt hatten. Sie füllte das Magazin wieder auf. Mit der rechten Hand hielt sie die Pistole, ganz vorsichtig und leicht, damit Ernestos Fingerabdrücke nicht verwischt wurden. Die linke, die sie mit einem Taschentuch umwickelt hatte, brauchte sie zum Einfüllen der Patronen. Dann tat sie alles in ihre Handtasche, die geladene Pistole, das Taschentuch und zuletzt den Handschuh. Anschließend suchte sie in ihrem Schrank nach dem sandfarbenen Kleid, das sie an dem Tag getragen hatte, als sie in Alicias Wohnung war. Sie fand es passend, die Geschichte so zu beenden, wie sie sie begonnen hatte. Also zog sie das Kleid an. In der Tasche war ein schwerer Gegenstand. Sie steckte die Hand hinein: Es war der von Alicia beschriftete Schlüsselbund, den sie in der Schreibtischschublade in Ernestos Büro gefunden hatte. Sie zog die Hand zurück. Auf keinen Fall wollte sie die Schlüssel dalassen.
    Dann lief sie die Treppe hinunter, warf die Haustür hinter sich zu und ging weg, ohne abzuschließen.

34
    Buenos Aires, fünfundzwanzigster September 2001. Vor dem unterzeichneten Ermittlungsrichter und Schriftführer erscheint ein spontaner Zeuge, dem daraufhin die folgende ZEUGENAUSSAGE abgenommen wird. Der vernehmende Richter fordert von dem Zeugen zunächst die Ableistung eines Eides, in Bezug auf alles, was er kundtun, wie auch, wonach er gefragt werde, nach bestem Wissen die Wahrheit zu sagen. In diesem Zusammenhang werden dem

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