Ganz die Deine
Ich könnte nicht beschwören, dass wir tatsächlich jemals derlei getan haben – nach zwanzig Jahren ist eine Ehe längst nicht mehr das, was sie ist, sondern das, wofür man sie hält. Man bringt die Dinge durcheinander, was dem einen passiert ist, könnte auch dem anderen passiert sein. Alles ähnelt sich so sehr, vor allem in Nullachtfünfzehn-Ehen wie unserer, Standardfamilien. Ich weiß nicht, ob ich jemals zusammen mit Ernesto auf dem Bett gesessen und Fotos angesehen habe, aber selbst wenn nicht, hätte es doch sein können. Und genau so kam es mir in diesem Moment vor – als hätten wir etwas irgendwann Verlorengegangenes wiederbekommen.
Ernesto klappte den Deckel auf und erlebte die erste böse Überraschung: Vor seinen Augen lag Alicias Pistole. »Was ist das denn?« – »Die Pistole, mit der Alicia dich erschießen wollte.« Ernesto sah mich verwundert an. »Mich?« – »Denk ich mir doch. Sie lag neben deinen Nacktfotos und den Flugtickets nach Rio.« – »Wo?« – »In ihrem Nachttisch.« – »Warst du in ihrer Wohnung?« – »Ja.« – »Das ist doch Wahnsinn, Inés! Jemand hätte dich sehen können. Hat dich wer gesehen?« – »Nein.« – »Bist du sicher?« – »Ich bin dem Portier begegnet, aber er hat mich nicht gesehen, und ich habe in der Bar gegenüber einen Kaffee getrunken, aber der Kellner, der mich bedient hat, ist so beschränkt, der kann nicht mal zwei und zwei zusammenzählen.« – »Was für ein Kellner? So ein großer mit grauen Haaren?« – »Ja, ein langer Kerl, mit schwarzem Schnurrbart, er hat mir den halben Zuckerstreuer über den Rock gekippt.« Ernesto sah mich angespannt an. Ich weiß nicht, ob das der richtige Ausdruck ist. Dann entspannte er sich und griff nach der Pistole. Er sah sie sich von allen Seiten an, packte sie, als wollte er schießen. »Pass auf, Ernesto!« – »Ist sie geladen?« – »Was denkst du denn? Wie hätte sie dich denn erschießen sollen, wenn sie nicht geladen gewesen wäre?« Ernesto öffnete das Patronenfach, nahm die Patronen raus, klappte es wieder zu und legte alles zusammen in seine Nachttischschublade.
Wir sahen nochmals alles durch. Die Briefe mit der Unterschrift »die Deine«. Die Lippenstiftherzen. Die Schachtel mit den Kondomen und der Widmung. Auf keinen Fall wollte Ernesto jedoch die Nacktbilder verwenden. Das war ihm zu peinlich, außerdem hatten wir auch so genügend belastendes Material. Schließlich ging es darum, die Polizei davon zu überzeugen, dass es eine Frau gab, die hinreichend Grund hatte, Alicia aus dem Weg räumen zu wollen. Aus Eifersucht, obsessivem Besitztrieb, fanatischer Liebe zu Ernesto. Eine Frau, die ihn ganz für sich allein haben wollte. Und die jederzeit wusste, wo sich die Verstorbene gerade befand. Charo. Die war außerdem schon allein wegen ihrer verwandtschaftlichen Beziehung zu Alicia gezwungen, dieser ständig über den Weg zu laufen, ihr bei Familientreffen zu begegnen, ihre Vorwürfe zu ertragen. All das war äußerst unangenehm, kaum zu ertragen, sodass sie eines Tages beschloss, ein für alle Mal Schluss zu machen und sich die ungeliebte Tante vom Hals zu schaffen. Ich legte die Argumente für Ernesto zurecht und schmückte sie noch ein wenig aus, damit sie auch wirklich überzeugend gerieten: Charo war unglaublich besitzergreifend (Beweis Nummer eins: Brief Nummer eins: »Ich muss dich unbedingt sehen, sofort«); sie konnte nicht ertragen, dass es noch eine andere Frau in Ernestos Leben gab (Beweis Nummer zwei: ein Satz auf einer Papierserviette: »Ich will dich nur für mich«); sie war zu allem fähig (Beweis Nummer drei: die Widmung auf der Kondomschachtel; dabei kam es nicht auf die Formulierung an, sondern auf die bloße Tatsache der Widmung); sie hatte einmal angedeutet, dass sie überlege, Alicia aus dem Weg zu räumen (Beweis Nummer vier: der Satz auf einer Streichholzschachtel aus einem Stundenhotel: »Nichts kann uns trennen«). Ernesto würde vor einem geeigneten Gegenüber äußern, dass er die erwähnten Sätze bis jetzt immer nur für bloßes Gerede gehalten habe. Nach einigem Überlegen fühle er sich inzwischen aber doch verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass Charo möglicherweise etwas mit der Sache zu tun haben könne. Es würde nicht einfach sein, Charo würde zum Gegenangriff übergehen, aber Ernesto hatte ein Alibi, er war zu Hause gewesen, ich würde es bezeugen können, er schlief oben, während ich unten im Wohnzimmer Psycho ansah. Charo nicht. Ernesto wusste
Weitere Kostenlose Bücher