Ganz die Deine
meinem Auto. Der eine funktionierte nicht mehr richtig, schon vor Monaten hätte ich ihn austauschen sollen. Der linke.
Da sagte ich mir: »Besser, ich nutze die Wartezeit für etwas Sinnvolles.« Und ging in die Garage, um den Scheibenwischer auszutauschen. Ernesto hat immer alle möglichen Ersatzteile parat. Glühbirnen, Zündkerzen und solche Sachen. Ich kenn mich ganz gut mit Reparaturarbeiten aus, aber davon weiß er nichts, Autos sind schließlich Männersache, außerdem hat meine Mama immer gesagt, sobald du einmal einen Dichtungsring wechselst, bist du erledigt, dann halten sie dich für einen Klempnermeister und fassen noch nicht mal mehr einen Schraubenzieher an, selbst wenn das ganze Haus unter Wasser steht. Ich öffnete die Kiste, in der Ernesto Ersatzteile aufbewahrt, und wühlte darin herum. Die Scheibenwischer waren ganz unten. Das heißt, fast ganz unten. Als ich sie hervorzog, entdeckte ich darunter einen Briefumschlag, den ich natürlich sofort öffnete. Ich habe meistens so meine Ahnungen, und auch dieses Mal wusste ich gleich, dass es hier etwas zu entdecken gab. Und was entdeckte ich wohl? Noch mehr Briefe von der Deinen. Unterschrieben mit dem Lippenstift der Deinen. »Wozu braucht es dermaßen viele Scheißbriefe? Haben die sich etwa so viel zu sagen?«, dachte ich. Und was für grauenvolle Briefe. »Dieser Mann ist wirklich ein Vollidiot«, sagte ich mir, »wo im Haus hat er wohl noch überall Spuren seiner Süßen hinterlassen?« Ich ließ die verfluchten Scheibenwischer Scheibenwischer sein und machte mich an eine gründliche Hausdurchsuchung. Ernestos Jackentaschen, Aktenmappe, Schreibund Nachttischschublade wie auch das Handschuhfach in seinem Auto kontrollierte ich ja schon seit Längerem. Aber auf die Ersatzteilkiste wäre ich im Traum nicht gekommen. Ich durchblätterte seine Bücher, entrollte seine Strümpfe, sah sämtliche Koffer und Taschen durch. Alles, was ich fand, war ein Passfoto von Ernesto, auf dem die Deine ihren Lippenabdruck hinterlassen hatte. In einer Schachtel mit Kondomen. Auf der Rückseite des Fotos stand: »Lass sie uns gemeinsam genießen.« Da begriff ich, weshalb Gott den Stamm dorthin gelegt hatte, wo er lag. Ich tat das Foto und die Kondome zu den Sachen, die ich bei meiner ersten Suchaktion ein paar Wochen davor gefunden hatte. Ich wollte alles verbrennen, noch bevor Ernesto zurück war. Unter den gegebenen Umständen wäre das Risiko zu groß gewesen, dass die Sachen in falsche Hände gelangten. Aber dann – ich weiß selbst nicht, warum – bewahrte ich sie auf. Man weiß ja nie. Bevor ich mein eigenes kleines Bankkonto eröffnete, hatte ich mir in der Garage ein Geheimversteck angelegt. Handwerklich betrachtet ein echtes Meisterstück: Ich hatte einen Ziegelstein gelockert, vorsichtig aus der Wand geholt, der Länge nach geteilt und wieder in die Wand eingefügt – aber natürlich bloß den halben Stein. Dahinter kamen die Geldscheine. Die sind mittlerweile an einem sichereren Platz. »Wer weiß, wozu das Zeug irgendwann noch gut sein könnte«, überlegte ich, während ich das Foto und die Briefchen faltete, damit sie in die Nische passten.
Da kam Ernesto angefahren. Ich duckte mich rasch hinter mein Auto. Das wäre was gewesen, wenn er mich beim Aussteigen in der Garage entdeckt hätte! Er hätte das Gefühl gehabt, ich spioniere ihm hinterher. Besser ließ ich ihn erst einmal in Ruhe ankommen. Später würde er von selbst mit allem rausrücken. Vielleicht einen Whisky oder auch ein paar Streicheleinheiten, falls nötig. Keine Ahnung, irgendwas, was ihn in Stimmung brachte. Und dann die Aussprache, um die Sache ein für alle Mal los zu sein. Ernesto ging aus der Garage, und ich wartete, bis er im Haus war. Ich wusste ganz genau, was jetzt zu tun war: schnell in die Küche huschen und ein bisschen Milch warm machen. Dann zu ihm ins Zimmer, mit den Worten: »Hallo Liebling, ich habe nicht einschlafen können. Alles klar bei dir?«
Bevor ich aus der Garage ging, warf ich einen Blick auf Ernestos Auto. Es war über und über mit Schlamm bespritzt. Mir wurde schlagartig klar, dass ich eine ganze Weile für uns beide würde denken müssen.
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Fotokopierte Seiten aus Handbuch der Kriminologie, gefunden auf dem Nachttisch von Inés Pereyra. Die Anmerkungen Pereyras an den Rändern wie auch in der Fußzeile sind in den hier wiedergegebenen Text eingearbeitet und durch Fettdruck hervorgehoben worden.
Spurensicherung beginnt stets am Tatort sowie in
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