Ganz die Deine
schon, er werde allen Mut verlieren, also redete ich pausenlos auf ihn ein. Ich sagte, ich hätte geträumt, das Kind habe genau seine Augen. Außerdem wisse ich schon, wie es heißen solle: Wenn es ein Mädchen war, Laura, und wenn es ein Junge war, Ernesto. Und Mama sei überglücklich gewesen, als sie erfahren habe, dass sie Großmutter werde. Ernesto sagte immer noch kein Wort. »Du willst doch nicht, dass ich abtreibe, Ernesto, oder?« Wie auf ein Zauberwort brach Ernesto in Tränen aus. »Verzeih mir, verzeih mir, bitte«, bettelte er wie ein kleines Kind. Und ohne ihn weitersprechen zu lassen, griff ich nach seiner Hand, legte sie mir auf den Bauch und sagte: »Baby, hiermit stelle ich dir deinen Papa vor.«
Lieber wäre ich wach geblieben und hätte auf ihn gewartet. Ich wollte, dass er mir endlich alles erzählte. Aber es war schon vier Uhr morgens, und er kam und kam nicht. Natürlich hätte ich hingehen und zu ihm sagen können: »Ernesto, warum kommst du verdammt noch mal nicht endlich ins Bett?« Aber ich wollte nichts erzwingen, er hatte einen schlimmen Tag hinter sich. Es ging nicht darum, die Sache noch zusätzlich anzuheizen. Außerdem brauchte ich selbst dringend Schlaf. Ich trank die Milch aus, legte mich ins Bett und schlief ein.
Der Wecker klingelte um halb sieben. Ernesto lag nicht neben mir. Das war ganz und gar nicht normal, Ernesto stand nie vor sieben Uhr auf. Das Bett war auf seiner Seite unberührt. Schaudernd stellte ich mir vor, er sei zusammengekrümmt neben Lalis Bett auf dem Teppich eingeschlafen. Aber als ich dort nachsah, war er nicht da. Stattdessen stand er unter der Dusche. Hastig machte ich mich daran, sein Auto zu säubern. Ich musste unbedingt fertig sein, bevor er aus dem Bad kam. Ich schaffte es unglaublich schnell – das Auto blitzte nur so. In so was bin ich gut. Als ich in die Küche kam, war Ernesto schon dort. Er machte Kaffee. »Hallo Liebling«, sagte ich. »Hallo«, antwortete er und goss sich Kaffee ein. Ich setzte mich ihm gegenüber und lächelte ihn an. Er sollte sich wohl fühlen, spüren, dass seine Frau wie ein wundertätiger Balsam all seine Wunden kurieren konnte. »Gibts was Neues?«, fragte ich, unentwegt lächelnd, und hoffte, ihm so den nötigen kleinen Schubs zu verpassen, den er einfach braucht, um in Aktion zu treten. Keine Antwort. Mühsam hielt ich mein Lächeln aufrecht, aber es gefror immer mehr zu einer starren Maske. Nichts regt mich so auf, wie wenn Ernesto sich in sich selbst verschließt! Er trank von seinem Kaffee. Neben dem Teller lag die Zeitung – unaufgeschlagen. ›Das fängt ja gut an‹, dachte ich. Ernesto geht nie aus dem Haus, ohne die Zeitung gelesen zu haben. Und die erste Pflicht des perfekten Mörders ist es, seine täglichen Gewohnheiten beizubehalten. Andernfalls kann er gleich selbst die Polizei anrufen. »Hast du schon den Wetterbericht für das kommende Wochenende gelesen, Ernesto?«, fragte ich, schlug die Zeitung auf und drückte sie ihm geradezu in die Hände. Ernesto tat, als ob er lesen würde. ›Mein Gott‹, dachte ich, ›das kann ja heiter werden.‹ – »Und, hast du das mit dem Computersystem hingekriegt, Ernesto?«, fragte ich dann. Ernesto sah mich an. Fast hätte ich einen Herzinfarkt bekommen: Seine Augen standen voller Tränen. Bedrückt fasste ich mich an den Kopf. Dann sprudelte es nur so aus mir hervor: »Ernesto, die Sache hatte sich bereits erledigt, als du im Büro angekommen bist, deshalb warst du nach einer halben Stunde wieder zu Hause, ich habe gehört, wie du in die Garage gefahren bist, da war es auf keinen Fall später als halb elf. Danach bist du nicht mehr weggegangen. Okay? Um zehn bist du los, und um halb elf warst du schon wieder da. In dieser Zeit kommt man nirgendwo hin, und man kann auch nichts unternehmen. Verstanden?« Keine Ahnung, ob er mich verstanden hatte. Er sagte kein Wort, aber nicht nur das, er sah mich auch mit einem Blick an, dass ich ihn am liebsten zur Strafe in die Ecke gestellt hätte. Denn im Grunde genommen ist Ernesto ein großes Kind, genau das ist sein Problem. Er wird einfach nicht erwachsen. Und manchmal bin ich es leid, seine Mama zu spielen. So lieb man seinen Mann haben kann – irgendwann komme ich an meine Grenzen, und dann würde ich ihn jedes Mal am liebsten erschießen.
Daran dachte ich gerade, als Lali hereinkam. Ein mageres »Guten Morgen« war alles, was sie sagte. Ernesto folgte ihr mit dem Blick, bis sie sich setzte. Ich glaubte, er wolle
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