Ganz oder gar nicht (German Edition)
Saudi-Arabien. Wir spielten auf einem Nebenplatz vor 150 Menschen. Am Abend zuvor hatten wir auf einem Feld außerhalb Istanbuls trainieren müssen, wo vier lächerliche »Glühbirnen« für Licht sorgen sollten. Wir konnten den Ball kaum sehen. So hat der bulgarische Verband Spiele organisiert. Mir wurde mitgeteilt, dass diese sportlich uninteressanten Luschenspiele sein mussten, weil es der Vermarkter so wollte.
Was der Hintergrund für das Spiel gegen Saudi-Arabien gewesen ist, weiß ich nicht. Was offiziell herausgekommen ist, war jedoch die Manipulation des vor achtzig Zuschauern ausgetragenen Estland-Spiels. Inzwischen ist es aus allen Statistiken gestrichen worden. Heute bin ich schlauer. Damals hatte ich nichts Böses geahnt, sondern fokussierte mich als Trainer auf das Spiel. Ich dachte nicht an Manipulation, ich dachte nicht daran, dass der Schiedsrichter gar keine Lizenz haben und unter falschem Namen auflaufen könnte. Und ich war überrascht, hinterher zu erfahren, dass dieses Spiel von einer thailändischen Agentur vermarktet wurde. Verdacht schöpften die Ermittler wohl, weil der Schiedsrichter in dem 2:2-Spiel vier Elfmeter gepfiffen hatte. Außerdem hatte es unmittelbar zuvor ein anderes Spiel in demselben Stadion mit demselben Schiedsrichter gegeben. Es war 1:1 ausgegangen – durch zwei Elfmeter.
Wie funktioniert so eine Spielmanipulation? Prinzipiell ist jeder Beteiligte ein potenzielles Ziel der Kriminellen. Das kann – wie in diesem Falle – der Schiedsrichter sein, das kann mal ein Trainer sein, und das können natürlich die Spieler sein. Systematisch werden die Schwachpunkte eines Teams herausgesucht, schwache Persönlichkeiten. Nicht selten trifft man die in Spielcasinos an, weil sie hoffen, ihre wirtschaftlichen Probleme mit etwas Glück in den Griff zu kriegen. Dabei kann es vorkommen, dass die Spieler angesprochen und mit dem verlockenden Angebot konfrontiert werden, ihre Spielschulden zu übernehmen. Gegenleistung: beim nächsten Spiel eine 0:3-Niederlage. Dann wird vielleicht noch ein kleiner Köder ausgegeben, mit dem der Spieler zwei seiner Kollegen schmieren kann, und schon wird aus einem Investment der Wettmafia von ein paar zehntausend Euro ein Gewinn von mehreren Millionen. Denn auf dieses Spiel wird natürlich viel Geld gesetzt. Inzwischen kann man ja auf alles Geld setzen. Auf Wald-und-Wiesen-Spiele der Dritten Liga, auf Elfmeter, auf die Anzahl der Tore. Und die Mafia macht das ja nicht bloß bei einem Spiel pro Wochenende. Das ist ein riesiges Geschäft geworden. Ehrlich gesagt möchte ich nicht ganz dahinterschauen, sonst geht mir wahrscheinlich der Glaube verloren. Als Kind des Fußballs freue ich mich, dass FIFA, UEFA, die Verbände und die Polizei inzwischen rigoros dagegen vorgehen und angekündigt haben, betroffene Spieler lebenslang zu sperren. Für mich war die Erfahrung in Bulgarien ein Stich ins Herz. Ich fühlte mich betrogen. Nicht zuletzt deshalb war es wohl besser für alle, dieses unselige deutsch-bulgarische Missverständnis im Dezember 2011 zu beenden.
ANGEBOTE AUS DER HEIMAT
»Vielleicht«, denke ich mir manchmal, »vielleicht sollst du jetzt als Trainer die Schattenseite des Jobs erfahren, nachdem dein Leben als Fußballspieler meist auf der Sonnenseite stattgefunden hat. Vielleicht kriege ich es jetzt eins zu eins zurück.« Ist das eine Form von Karma? Muss ich deswegen seit 2001 dieses Rastlose in meinem Leben akzeptieren? Ich weiß es nicht.
Mein Vagabundendasein im Ausland könnte zu der Annahme verleiten, dass der deutsche Markt für mich als Trainer völlig verriegelt gewesen wäre. Das ist nicht richtig. Es gab einige sehr konkrete Angebote aus der Ersten und Zweiten Bundesliga, die nur jedes Mal im letzten Moment scheiterten.
2003 kam es zu Vertragsgesprächen mit Eintracht Frankfurt. Als die Öffentlichkeit davon erfuhr, probten die Fans den Aufstand gegen Lothar Matthäus. Weil ich immer noch als Bayern-Spieler gesehen wurde? Oder hatte man noch mein vermeintliches Foul gegen das Eintracht-Idol Jürgen Grabowski im Kopf? Der konnte nach einem Zweikampf, den wir in einem Bundesligaspiel 1980 geführt hatten, nicht mehr weiterspielen und musste seine Karriere beenden. An ein grobes Foul, von dem immer wieder die Rede ist, kann ich mich allerdings nicht erinnern.
Vier Jahre später in Nürnberg lief es genauso. Ich war mir mit Manager Martin Bader und Präsident Michael Roth einig. Kaum war die Information durchgesickert, formierte sich
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