Ganz oder gar nicht (German Edition)
höchstwahrscheinlich der neue Trainer geworden. Aber der alte Trainer holte mit seiner Mannschaft noch bemerkenswert viele Punkte aus den letzten Spielen und blieb damit in der Ersten Liga. Das ist Fußball. Und ich habe mich – ganz ehrlich – von Herzen mit dem Präsidenten und dem sehr sympathischen Trainer gefreut.
ENDE DES WACHSTUMS, RÜCKKEHR DER WERTE
Würde das Weltmeisterteam von 1990 gegen Jogi Löws Mannschaft von 2012 antreten, behaupte ich: In der Verfassung von damals hätten wir nicht den Hauch einer Chance. Der Fußball ist unglaublich schnell geworden. Gerade im offensiven Bereich taugen nur noch Leute, die bei hohem Tempo etwas mit dem Ball anfangen können. Schaue ich mir ein Spiel von 1970 an, dann war das perfekter Standfußball. 1990 haben wir uns schon ein bisschen mehr bewegt, heute aber ist alles in Bewegung. In Topmannschaften gibt es eigentlich gar keinen langsamen Spieler mehr.
Das liegt daran, dass man heute auf ein ganzes Universum neuer Hilfsmittel zurückgreifen kann. Das fängt bei den Trainern an. Früher hatte eine Mannschaft zwei, heute hat fast jeder Spieler seinen eigenen. Dann die Ausrüstung. In Mönchengladbach hatten wir damals noch nicht mal einen Fitnessraum. Heute werden Computer eingesetzt, die einen Spieler gläsern machen und dem Trainerstab alles über ihn mitteilen. Jede einzelne Muskelfaser ist da förmlich registriert. Das gibt den Trainern die Möglichkeit, zielgerichteter mit den Spielern zu arbeiten, hinsichtlich des Trainings, der Regeneration, der medizinischen Versorgung, der Ernährung. Trotz der irrsinnigen Perfektionierung schon heute gehe ich davon aus, dass die spielerische Dimension des Fußballs sogar noch besser werden wird. Ich denke, dass vor allem im mentalen Bereich nachgearbeitet werden kann, an der Gabe, Situationen schneller zu erkennen, an der Intelligenz also, Abläufe in einem Spiel zu antizipieren. Da gibt es bei vielen Spielern noch erheblichen Nachholbedarf.
Für die rein materielle beziehungsweise finanzielle Dimension des Fußballs habe ich jedoch weit weniger Faszination übrig. Das Fußballbusiness hat sich genauso verändert, wie sich die Weltwirtschaft verändert hat. Soll man sagen, der Fußball ist professioneller geworden? Vor dreißig Jahren war der Fußball auch professionell. Der Fußball hat sich eher dem allgemeinen Wachstumsglauben angeschlossen. Die Spielergehälter haben sich erhöht, die Stadien sind größer geworden, die Ticketpreise haben angezogen, die Senderechte sind teurer geworden. Der Kuchen wuchs und wuchs. Ich bin aber überzeugt davon, dass das Wachstum irgendwann aufhören wird. Und irgendwann wird dann auch der Fußball eine Krise durchmachen.
Wir haben zwar eine relativ gesunde Bundesliga, der deutsche Fußball ist stabil aufgebaut. Man hat nicht geträumt von Dingen, die einfach nicht machbar waren. Aber in anderen Ländern hat man diese Träume gehabt, und genau dort hat die Krise längst begonnen. Blicken wir nur nach Italien, wo die Schulden der Clubs steigen und steigen. Zuletzt waren es ca. 1,5 Milliarden Euro unter den zwanzig Clubs der Serie A. Mein alter Arbeitgeber Inter Mailand hielt zuletzt den Titel des Schuldenkönigs mit 335 Millionen Euro. Blicken wir nach England, wo sich vier Milliarden Euro Miese angesammelt haben. Manchester United ächzt unter 370 Millionen, und auch der FC Liverpool leidet, weil ein amerikanischer Investor Millionen an Schulden hinterlassen hat. Oder schauen wir in die spanische Liga, wo 2012 acht Vereine kurz vor dem Bankrott stehen. 752 Millionen Euro schuldeten die Clubs alleine den Finanzämtern. Und das, obwohl gerade die Vereine steuerlich geschont werden, die viele ausländische Spieler beschäftigen. Auch die Sozialversicherung wartet noch auf eine Menge Geld. Die Gesamtschulden aller spanischen Proficlubs beliefen sich 2012 auf vier Milliarden Euro. Wegen der schier aussichtslosen Situation wurde sogar diskutiert, den Sündern rund 1,3 Milliarden Euro per Schuldenschnitt zu erlassen. Ein polarisierender Vorschlag, hatte es Real Madrid 2009 – also mitten in der Weltfinanzkrise – mit seinen Investitionen doch auf die Spitze getrieben. Für Cristiano Ronaldo und Kaká gab der Verein zusammen annähernd 160 Millionen Euro aus. Die Summe kam logischerweise von einer Bank, einer Bank, die von der Krise erfasst wurde und mit Steuergeldern gerettet werden musste. Letztlich sind es also Fans wie Fußballdesinteressierte, die diese astronomischen
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