Garan - Der Ewige
Generationen, die ihr Volk fern vom Licht lebte, war in dicken Rollen um ihren stolzen Kopf geschlungen. Vom Hals bis zu den Füßen war sie in Schwarz gehüllt, nur ihre weißen Arme waren nackt bis zur Schulter. Sie war eine außergewöhnliche, auffallende Gestalt, die sich jetzt langsam durch die Reihen ihrer farbiger gekleideten Gefährtinnen bewegte.
»Möchtet ihr hierbleiben, meine Lords? Oder wollt ihr euch vielleicht die inneren Höfe ansehen?« fragte die Aholianerin sanft, als wir uns genügend umgesehen hatten.
»Die inneren Höfe«, antwortete ich rasch, bevor Anatan protestieren konnte.
Wir folgten ihr auf der obersten Stufe, von der die zwanzig verschleierten Bogengänge abgingen.
Anatan zupfte an meinem Mantel und flüsterte mir zu: »Äußere den Wunsch, die Lady des Palasts zu sehen. Das ist so der Brauch beim ersten Besuch.«
Ich fragte mich, woher er derlei Wissen hatte, aber ich folgte seinem Rat. Die Aholianerin nickte und zog sogleich einen flammendroten und silbernen Vorhang beiseite. Vielfältig waren die Wunder, an denen wir vorüberkamen. Ich erinnere mich an einen Raum, dessen Wände aus transparentem Kristall waren, hinter denen Ungeheuer aus den äußeren Meeren schwammen, unheimliche Geschöpfe mit phosphoreszierenden Leibern oder Fängen, die im Dämmerlicht leuchteten; und es gab zahlreiche andere Räume, ebenso fremdartig und von ebenso bizarrer Schönheit wie jener.
Endlich gelangten wir in ein kleines Gemach mit weißen Wänden und weißem Fußboden, während das Kuppeldach tiefschwarz lackiert und mit großen Sternen aus Kristall besetzt war. Hier ruhte auf einer scharlachroten Couch die Herrscherin dieses farbenfrohen Irrgartens.
Dem Gewand und dem stark geschminkten Gesicht nach war sie eine Frau aus Arct. Im Gegensatz zu ihren Mädchen draußen war sie erschreckend häßlich, so dünn, daß sie schon ausgemergelt wirkte. Ihre enganliegende Robe aus Silbernetz enthüllte jeden Knochen und jede Aushöhlung. Ihr Gesicht war nach der Mode ihres Landes dick mit Farbe belegt; riesige purpurne Ringe umrandeten ihre eingesunkenen Augen, ihr Mund glich einem orangefarbenen Schlitz, und der Rest war kalkweiß. Ihr prachtvolles Haar konnte jedoch wohl Anspruch darauf erheben, einen Platz unter den Schönheiten dieses Palastes zu finden. Schwarz sehr lang und ungebändigt fiel es in großen Wellen bis auf den Boden herab.
Es war jedoch nicht die Gebieterin des Vergnügungspalastes, die ich mit fassungslosem Staunen betrachtete, sondern vielmehr der Mann, der betrunken zu ihren Füßen lagerte. Thran von Gorl, einen Weinbecher in den unsicheren Händen, grinste mir trunken entgegen. Dann stützte er sich mühsam an der Couch hoch und kam schwankend auf die Füße.
»Andere Freunde von dir, Ila? Aber ich kann mich ja nicht beschweren, wenn andere auch deine Gesellschaft suchen, nicht wahr? Deine Lieblichkeit ist nicht für mich allein. Aber darf ich bleiben oder muß ich gehen?«
Sie schüttelte den Kopf, und der Blick, den sie auf uns richtete, war frostig. »Bleib, mein Lord! Und was euch angeht, meine Lord-Fremdlinge, so heiße ich euch willkommen in meinem Reich. Flüstert eure Wünsche in Lanias Ohren, und was immer ihr verlangt, wird euch vorgesetzt werden.«
Auf diese Weise entließ sie uns, mit einer Handbewegung auf Lania, unserer Aholianerin, deutend.
Thran lachte spöttisch und kam schwankend auf mich zu. »Diese Blume ist nicht für dich zum Pflücken, Soldat. Geh und suche andere Gärten auf!«
Etwas klirrte leise gegen die Halsschnalle meines Mantels und fiel in die Falten meiner Schärpe. Ich spielte den verlegenen, linkischen Soldaten und zog mich mit meinen Gefährten aus dem Gemach zurück, um Ila und ihren Lord sich selbst zu überlassen, wie sie es wünschten.
Ich berührte Anatans Schulter und näherte meine Lippen seinem Ohr. »Unterhalte diese Lania für einen Augenblick.«
Er warf mir einen raschen Blick zu und trat dann vor, um neben unserer Aholianischen Führerin zu gehen. Ich griff in meine Schärpe und zog eine ovale Silberperle von der Größe meines Daumens hervor. Eine kurze Inspektion unter einem der Lichtstrahlen des Ganges enthüllte eine schwache Schnittlinie um die Mitte. Solche Gegenstände zum Aufbewahren geheimer Nachrichten waren mir wohlvertraut. Eine kurze Drehung meiner Finger teilte die Perle in zwei Hälften, und ich entrollte ein Fleckchen Schreibseide.
Der Text lautete: Im Raum der Grippons. Eine Stunde von jetzt angerechnet.
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