Garantiert wechselhaft
gestickt.»
«Wenn ja, war er ein echt cooler Typ», grinste sie. «Schade, dass ich ihn nicht kennengelernt habe.» Sie schnappte sich das Mitteilungsblatt und blätterte darin herum. «Altbürgermeister Grellner ist verstorben», las sie vor. «Und das Einwohnermeldeamt hat seine Öffnungszeiten geändert.»
«Gut, dass du es erwähnst.» Ich hatte mittlerweile einen Bleistiftstummel und einen vergilbten Block gefunden und schrieb in Großbuchstaben Telekom und Heizung auf, unterstrich beide Worte und machte weiter unten eine Notiz, dass ich uns bei der Gemeinde anmelden musste. Die Schulanmeldung hatte ich von Berlin aus erledigt. Am Montag war Maries erster Schultag in Pegnitz. «Okay. Was steht sonst noch an?»
Eine ganze Menge stand an, wie sich bei einer systematischen Hausbegehung herausstellte.
Die oberen Räume waren alle ziemlich verwohnt. In den Ecken hingen Spinnweben, und eine dicke Staubschicht lag auf den Möbeln. Aber ich war mir sicher, dass die Zimmer entrümpelt und mit einem frischen Anstrich ganz passabel aussehen würden. Allerdings zog es im ganzen Haus wie Hechtsuppe. Das war bei näherer Betrachtung auch kein Wunder, so schief, wie die alten Holzfenster in den Angeln hingen. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass jetzt erst mal der Sommer kam, und trug den Posten Schreiner bestellen ganz unten auf meiner Liste ein.
Was ich allerdings auf keinen Fall nach hinten verschieben durfte, war der Termin mit einem Elektriker. Die altmodischen Schalter und Steckdosen strahlten einen gefährlichen Charme aus, ganz zu schweigen von den stoffummantelten Kabeln, die über der einen oder anderen Lampe aus der Decke ragten.
Feuer und Wasser sind zwei gute Diener, aber schlimme Herren , hatte mein Onkel kreisförmig auf eine Tischdecke gestickt und mit reichlich wilden Mustern versehen. Hubert schien sich im Lauf der Jahre immer mehr von den üblichen Vorlagen gelöst und einen eigenen Stil entwickelt zu haben. Marie hatte recht, er war wirklich ein cooler Typ gewesen.
Wir ließen oben alle Türen offen, damit Luft und Licht schon mal ihre subtile Wirkung entfalten konnten, bevor wir mit der Scheuerbürste zum Angriff schreiten würden. Dann gingen wir hinunter, um unsere Erkundungstour fortzusetzen.
Auf der anderen Seite des Flurs, gegenüber der Gaststube, befand sich der Saal. Man konnte ihn durch eine Tür direkt beim Hauseingang betreten, aber wir zogen eine Schiebetür mit gelben Riffelglasfenstern auf, die sich weiter hinten, in der Nähe der Küche befand. Mein erster Blick ging nach oben: Von der Mitte der dunklen, hölzernen Kassettendecke liefen zeltartig arrangierte Krepppapierstreifen nach außen zu den Wänden und verliehen dem Raum einen leicht morbiden Charme. Manche waren abgerissen und wehten leise im Luftzug, der leider auch hier von den drei hohen Fenstern an der Längsseite ausging. Bis auf ein paar an der Wand aufgereihte Tische und Stühle und die allgegenwärtigen Wollmäuse war der Saal leer. An der Stirnseite führte eine Treppe zu einer Bühne hoch. Marie ging auf den Sechziger-Jahre-Kühlschrank zu, der neben dem Bühnenaufgang stand.
«Lass den bloß zu!», rief ich, aber da war es schon zu spät. Marie spähte hinein und wurde augenblicklich grün im Gesicht, was eine interessante Abwechslung zu ihrem üblichen weißen Make-up darstellte. Sie warf die Kühlschranktür zu und stürzte hinaus. Der Geruch, den sie befreit hatte, blieb leider im Raum, und ich beschloss äußerst flexibel, dass ich im Moment einfach noch nicht wissen wollte, was sich hinter dem verblichenen Vorhang auf der Bühne verbarg. Ich fügte meiner Liste gedanklich den Punkt Sperrmüll organisieren hinzu und schloss die große Schiebetür schnell hinter mir.
Marie, die gerade wieder von draußen hereinkam, zeigte auf das Emailleschild, das neben der Garderobe hing. «Was ist denn ein A-bort?»
«Da hättest du eben auch hinlaufen können. So hat man früher die Toiletten genannt. Abgeleitet vom lateinischen aboriri, abortus, was so viel wie entschwinden bedeutet.»
«Klugscheißerin», sagte Marie.
Auch Onkel Hubert hatte einen Spruch parat: Der Mensch braucht ein Plätzchen und wär’s noch so klein, von dem er kann sagen, sieh, das ist mein! zierte in Langettenstich die Wand zwischen Männer- und Frauentoilette.
«Dann wollen wir mal!», sagte ich und drückte tapfer zuerst die Tür zu den Männer-, dann zu den Frauentoiletten auf.
«Urgh!», sagte Marie und rannte wieder hinaus.
Dem
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