Garnet Lacey 05 - Das bisschen Flitterwochen
und nicht daran zu denken, wie sehr mir mein tapferer Begleiter jetzt schon fehlte.
Ich weinte, während ich auf eine mögliche Vergewaltigung untersucht wurde, während man mir Blut für einen HIV-Test abnahm und eine Krankenschwester mir alle möglichen Fragen zu meiner Krankenversicherung stellte. Sie gab mir ein Kleenex, dann legte sie mir eines von diesen nervtötenden Plastikarmbändern um, auf dem mein Name stand. Sie schob das Band locker um eines meiner Handgelenke, die dank der dicken Verbände den Eindruck erweckten, als hätte ich einen Selbstmordversuch unternommen. Zumindest sorgte die Mullbinde dafür, dass ihre Finger nicht meine Haut berührten. Als sie fertig war, ließ ich mir von ihr sechs Mal
hintereinander zusichern, dass sie Sebastian anrufen würde. Ich schrieb ihr seine Handynummer auf und erklärte, dass wir im Saint Paul Hotel ein Zimmer hatten.
Dann wurde ich in einen Raum mit weiß gestrichenen Wänden geschoben, wo bereits eine schwarze Frau mittleren Alters lag, die einen schrecklichen Husten hatte. Das Radio war auf einen Softrocksender eingestellt. »Stört Sie die Musik?«, wollte sie wissen.
Da ich es nicht wagte, den Kopf zu schütteln, lächelte ich ihr zu und verneinte die Frage. Mein Gesicht war nass von meinen Tränen, und ich merkte der Frau an, dass sie mich etwas fragen wollte, es sich dann aber doch anders überlegte. So lagen wir beide schweigend da.
Das Zimmer war klein und krankenhaustypisch unangenehm. An Wandhalterungen war für jeden von uns ein Fernseher befestigt worden, wir hatten beide einen Nachttisch. Auf dem meiner Zimmernachbarin drängten sich Plastikbecher, die alle zur Hälfte mit Wasser gefüllt waren, und eine Kleenexpackung, die jeden Moment das Gleichgewicht zu verlieren und herunterzufallen schien.
Ich starrte aus dem Fenster, auch wenn ich nicht viel sehen konnte, da mir von drinnen die verstaubten Plastiklamellen der Jalousie und von draußen dickes Eis die Sicht nahmen. Es war ein einsamer, hässlicher Ort.
Ich konnte nur hoffen, dass die Krankenschwester Sebastian erreichen würde.
Der Doktor mit dem gepflegten grauen Bart schaute zur Tür herein, sah, dass ich wach war, und betrat das Zimmer. Während er den Vorhang rund um mein Bett zuzog, setzte ich mich vorsichtig etwas gerader hin. »Der Test ist negativ ausgefallen«, sagte er zu mir.
Ich atmete erleichtert aus, obwohl mir gar nicht bewusst gewesen war, dass ich den Atem überhaupt angehalten hatte.
»Der toxikologische Befund ist dafür umso aufschlussreicher.« Er leierte eine ganze Litanei von chemischen Stoffen mit endlos langen Namen herunter, und ich wartete geduldig, dass ich endlich etwas zu hören bekam, das ich auch verstand. »Bei so vielen Mitteln in Ihrem Körper würde ich sagen, Sie können von Glück reden, dass Sie überhaupt noch leben. Danken Sie Gott, dass Sie noch früh genug ins Krankenhaus eingeliefert wurden, damit wir Ihren Körper entgiften konnten.«
Danken Sie der Göttin, sollte er wohl besser sagen.
Einen Moment lang schloss ich die Augen und schickte ein stummes Dankeschön an die Göttin Bastet, die ägyptische Schutzheilige der Katzen, und an meinen tapferen Freund Hero, für den ich hoffte, dass er irgendwo eine schöne fette Maus erwischte, damit er etwas in den Magen bekam.
»Versuchen Sie, sich auszuruhen«, meinte der Arzt. »Aber Sie müssen verstehen, dass ich in solchen Fällen gezwungen bin, die Polizei zu benachrichtigen.«
Als hätte sie im Flur auf das Stichwort gewartet, betrat eine Hmong-Frau in Polizeiuniform das Zimmer. Der Arzt tätschelte behutsam meine Beine, die unter einer Decke verborgen waren, und erklärte mir, alles werde wieder gut werden. Ich dankte ihm. Meine Zimmernachbarin warf mir einen nervösen Blick zu und vertiefte sich hastig in ein Buch.
»Garnet Lacey?«
Wieso fingen in letzter Zeit die meisten Unterhaltungen mit dieser Frage an? Nur einmal hätte ich gern ein »Guten Tag« gehört oder ein »Hallo, wie geht’s?«. Seufzend bestätigte ich meine Identität. »Ich wünschte, ich könnte Nein sagen.«
Polizisten konnten nur selten etwas mit meinem Sinn für Humor anfangen. Sie kniff die schmalen Lippen zusammen und nickte, als genügte das. »Wollen Sie mir verraten, was passiert ist?«
Auch wenn sie mir diese Frage stellte, wusste ich sehr wohl, dass ich um eine Schilderung nicht herumkam, ob ich das nun wollte oder nicht.
»Ich schätze, ich wurde entführt.« Ich überlegte, ob ich erwähnen sollte,
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