Garnet Lacey 05 - Das bisschen Flitterwochen
nur zu mir hingezogen fühlte, sondern sich auch so sehr an mir festklammerte?
»Ich weiß, du bist katholisch, Sebastian, aber vertreten Alchemisten nicht die Ansicht, dass der göttliche Funke in allem steckt?«
Überrascht begann er zu lachen. »Ja, natürlich. Der Stein der Weisen. Ihn zu destillieren, ist meine Lebensaufgabe. Wie kommst du darauf?«
»Ach, Apollo hatte etwas in der Art gesagt.«
Er wollte zum Reden ansetzen, hielt dann aber kurz inne und stutzte. »Was war das? Hast du gerade Apollo gesagt?«
Ich biss mir auf die Lippe. Das hatte ich doch gar nicht vorgehabt, weil ich Sebastian nicht mit diesem ganzen Visionenkram behelligen wollte. »Ähm ... die Ärzte haben gemeint, ich könnte schon mal scheinbar wirres Zeug reden ... du weißt schon, so was frei Assoziiertes und so.«
Sein skeptischer Blick verriet, dass ihm meine Antwort gar nicht gefiel, selbst wenn es der Wahrheit entsprochen hätte, was ganz offensichtlich nicht der Fall war. So durchschaubar, wie meine Lüge gewesen war, wunderte es mich nicht. »Mir haben sie gesagt, dass solche Symptome ein schlechtes Zeichen sind«, gab er zurück und stand auf. »Ich hole die Krankenschwester.«
»Nein, warte!«, rief ich und hielt ihn am Arm fest. »Ich wollte es dir nur nicht sagen. Weißt du, ich hatte noch eine Vision. Eigentlich ...« Ich stieß einen Seufzer aus. «... hatte ich massenhaft Visionen.«
Er ließ sich zurück auf seinen Stuhl sinken, ohne meine Hand loszulassen. Seine Augen lagen besorgt und forschend auf meinem Gesicht. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
Ich presste die Finger gegen meinen Mund, als könnte ich so zurückhalten, was ich aussprechen wollte. »Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«
Sebastian beugte sich nach vorn und schlug mit dem Kopf gegen das Gitter. Als er damit aufhörte, sah er mich an und erklärte: »Du machst mich wahnsinnig.«
Und genau das war der Grund, weshalb ich es ihm nicht hatte erzählen wollen. Ich kratzte mich am Kinn. »Na ja, es gibt auch etwas Gutes zu berichten, was meine Visionen angeht.«
»Etwas Gutes?« Wieder musterte er mich voller Skepsis. »Und das wäre?«
»Ich weiß nicht, warum ich die Visionen habe, aber ich glaube, ich weiß, was sie sind«, sagte ich und redete hastig weiter, als ich sah, dass ich Sebastians Interesse geweckt hatte. »Ich glaube, ich sehe den inneren Gott oder die innere Göttin. So wie dein Stein der Weisen oder der göttliche Funke oder was auch immer.«
Ich schaute ihn hoffnungsvoll an. Sein Gesicht war größtenteils in Schatten gehüllt. Ein paar Strähnen seines langen Haares hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst, hingen herab und ließen ihn noch unheilvoller erscheinen. Das fluoreszierende Licht über meinem Bett tauchte seine blasse Haut in einen grünlichen Schein.
Als er nach einer Weile immer noch schwieg, fragte ich: »Was meinst du?«
Daraufhin stand er auf und ging zum Fenster. »Ich weiß nicht«, erwiderte er nachdenklich. »Aber wenn es das tatsächlich ist, dann ist es wohl völlig harmlos. Dann ist es nur eine weitere deiner vielen Gaben.«
Eine Gabe? Ich hatte meine Visionen bislang eher als Übelkeit erregende Unannehmlichkeiten angesehen, doch vielleicht waren es ja Momentaufnahmen der Weisheit. Und wer war die Göttin der Weisheit?
Athena.
Ich wünschte, ich könnte Sebastians göttlichen Funken sehen. Er hatte sich wieder zu mir gesetzt. Seine Arme hatte er auf das Gitter an meinem Bett gestützt, sein Blick war auf den
Rosenstrauß gerichtet, der immer noch auf meinem Schoß lag. Etwas an seiner Haltung ließ ihn sehr jung und recht distanziert erscheinen, fast wie seinen Sohn Mátyás. Plötzlich kam mir ein Gedanke: Wir hatten den Bund fürs Leben geschlossen - waren unsere inneren Götter kompatibel?
Lilith konnte ihn gut leiden, in dem Punkt musste ich Sebastian recht geben.
Und Athena? Das griechische Pantheon war berüchtigt für seine unglücklichen Ehen. Zeus hat immer hinter Heras Rücken andere Weiber aufgerissen, und Aphrodite und Hephaistos hätten kein unpassenderes Paar sein können. Waren diese Götter eigentlich auch noch mit etwas anderem beschäftigt gewesen als ihren außerehelichen Affären?
Andererseits sollte Lilith für die feuchten Träume der Männer verantwortlich sein, und in manchen Mythen war sie die Ehefrau des Satans. Von daher war sie nicht unbedingt das bessere Vorbild.
Ich seufzte und fühlte mich entmutigt.
Sebastian deutete mein Seufzen verkehrt und
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