Garnet Lacey 05 - Das bisschen Flitterwochen
gebratenen Speck und einen unnatürlich glänzenden Bagel. Ein kleiner Karton mit fettarmer Milch stand auf dem Tablett, außerdem lagen dort einzeln abgepackt je eine Portion Butter und Frischkäse. Nichts davon sah auch nur entfernt appetitlich aus. »Ich bin Vegetarierin«, sagte
ich.
»Oh«, gab die Schwester in einem Tonfall zurück, der so viel besagte wie: »Damit habe ich nichts zu tun.«
Sebastian schnappte sich den Speck von meinem Teller und verschlang ihn mit zwei Bissen. »Problem gelöst.«
Die Schwester schien sich über diese Lösung zu freuen, und nachdem sie sich kurz mit meiner Verfassung beschäftigt hatte, ging sie wieder.
Sebastian stand auf und schloss die Tür, die die Krankenschwester offen gelassen hatte, damit die Unruhe und das Licht vom Flur nicht länger ins Zimmer drangen. Als er wieder neben dem Bett saß, sagte er: »Tut mir leid, dass ich eingedöst bin. Ich schätze, die Aufregung des letzten Tages hat mir zu schaffen gemacht. Außerdem habe ich heute Morgen noch nichts getrunken.« Argwöhnisch betrachtete er das Tablett. »Ich nehme an, Kaffee darfst du noch nicht haben.«
»Bestimmt steht draußen im Gang irgendwo ein Kaffeeautomat.« In Krankenhäusern stieß man normalerweise an jeder Ecke auf diese Automaten, die abscheuliche Heißgetränke ausspuckten. »Aber wer weiß, vielleicht gibt es hier ja eine Starbucks-Filiale.«
»Ganz sicher«, meinte Sebastian und schnaubte spöttisch.
Meine Begegnung mit Lilith hatte bei mir deutliches Unbehagen ausgelöst. Vor diesem Gespräch war ich entschlossen gewesen, SIE loszuwerden, doch jetzt war ich mir nicht mehr
ganz so sicher. Was hatte es zu bedeuten, dass SIE aus dem Charge of the Goddess zitierte, jenem Gedicht, das mein Zirkel bei jedem Anbetungsritual las?
»Du isst ja gar nichts, meine Liebe«, stellte Sebastian fest. »Worüber denkst du nach?«
»Über die Meditation«, antwortete ich und riss die Plastikfolie um das Besteck auf. Gab es hier eigentlich irgendetwas Natürliches?
»Meditation?« Er zog den Vorhang um mein Bett zu und sah mich verwundert an, als könnte er sich nicht so recht vorstellen, dass ich meditieren würde. »Worüber hast du meditiert?«
»Nichts Wichtiges«, wollte ich eigentlich antworten, weil ich ihn nicht auf dem Laufenden gehalten hatte, was das Hin und Her der verschiedenen Göttinnen in den letzten Tagen anging. Daher musste es ihm seltsam vorkommen, als ich herausplatzte: »Lilith in erster Linie. Ob ich SIE rausschmeißen soll oder nicht.«
»Kannst du das denn?« Er nahm wieder auf seinem Stuhl Platz, legte die Arme auf das Metallgeländer an meinem Bett und sah mich neugierig an.
Ich zuckte mit den Schultern. »Was, wenn ich es könnte? Was, wenn ich SIE gegen ein anderes Modell eintausche? Was, wenn ich stattdessen eine andere feste Göttin bekomme, zum Beispiel Athena? Sollte ich es dann machen?«
»Ich bin kein Wicca, aber sagst du nicht immer, dass sie alle Aspekte eines großen Ganzen sind?«
Vielleicht hatte Lilith mir das mit dem Zitat sagen wollen. SIE wollte mich daran erinnern, dass SIE und Athena gar nicht so verschieden waren. »Aber sie sind es eben doch. Verschieden, meine ich. Auch wenn man jede Göttin als einen anderen Teil des Ganzen ansieht, drückt trotzdem jede einzelne von ihnen etwas anderes aus. Lilith ist die Dunkelheit, Athena ist das Licht.«
Sebastian hörte mir aufmerksam zu und überlegte sich seine Antwort gründlich. »Ich weiß, was du damit sagen willst, aber ... warum willst du etwas verändern; das doch eigentlich gut läuft?«
»Findest du etwa, dass die Sache mit Lilith >gut läuft Und was ist mit dem Hotelzimmer? Was ist mit den Leuten, die SIE umgebracht hat ... oder besser gesagt, die ich umgebracht habe? Meinst du nicht, es ist eine Katastrophe, SIE in sich zu tragen?«
»So würde ich es nicht bezeichnen«, meinte er unbekümmert. »Außerdem kann Lilith mich gut leiden. Ich neige dazu, SIE ebenfalls zu mögen.«
Es stimmte, was er sagte, und hinzu kam, dass ich einmal Athena darum gebeten hatte, Sebastian zu helfen, und das hatte sie abgelehnt. Hätte Teréza nicht ebenfalls Hilfe benötigt, dann wäre sie überhaupt nicht bereit gewesen, auch nur einen Finger zu rühren. Mein Eindruck war, dass Athena es vorzog, lediglich Frauen beizustehen.
Aber wäre es nicht trotzdem besser, jemanden wie Athena als Göttin in sich zu tragen? Würde das einen nicht zu einem besseren Menschen machen? Was bedeutete es, dass Lilith sich nicht
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