Garnet Lacey 05 - Das bisschen Flitterwochen
weil seine ausdruckslose Miene mir keinen Anhaltspunkt gab. Seine kastanienbraunen Augen ließen dieses kalte Feuer erkennen, das ich manchmal entdecken konnte, wenn wir gemeinsam einem Monster gegenüberstanden. Die bernsteinfarbenen Splitter rings um Sebastians Pupillen schienen fast zu glühen, obwohl das Licht im Krankenzimmer gedämpft war.
»Wie du willst«, antwortete er bedächtig, obwohl ich einen Moment lang das Gefühl hatte, den Geruch von Zimt und gebackenem Brot wahrzunehmen.
Ich sah ihn finster an, doch mein Tonfall war nicht ganz so düster, als ich ihn fragte: »Versuchst du gerade, deine ... ganz besondere Überzeugungskraft bei mir anzuwenden?«
»Ich würde es wirklich gern«, räumte er ein. »Aber das würde wohl einen schlechten Start in die Ehe bedeuten, nicht wahr?«
Hm, und wie war das mit all den Dingen, die ich ihm verschwieg? Schuldbewusst sah ich zur Seite.
Er deutete meine Reaktion falsch, setzte sich auf und streichelte sanft mein Knie. »Hey, tut mir leid. Wie wär's, wenn wir noch einen Tag bleiben? Danach entscheide ich über unser nächstes Ziel, okay?«
Was sollte ich schon anderes sagen, als er mich mit seinen schönen braunen Augen so flehend anschaute? Vampirische Manipulationsgabe hin oder her, ich musste einfach zustimmen. »Okay.«
Trotz allem dauerte es noch eine Ewigkeit, bis wir endlich das verdammte Krankenhaus verlassen konnten. Ich musste alle möglichen Formulare unterschreiben, und natürlich wollten
die Ärzte mich auf keinen Fall zu Fuß gehen lassen. Stattdessen wartete schon ein Pfleger mit einem Rollstuhl auf mich.
»Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein«, murmelte ich.
»Krankenhausvorschrift«, entgegnete der junge Mann mit Moppfrisur. Seine Krankenhauskleidung war mit Snoopy-Motiven aufgepeppt.
Widerstrebend nahm ich im Rollstuhl Platz, und nach einem liebevollen Kuss auf die Wange ging Sebastian voraus, um den Wagen zu holen.
»Ihr Ehemann macht einen netten Eindruck«, meinte der Pfleger, der sich auf dem Weg durch den Korridor veranlasst sah, sich mit mir zu unterhalten. »Er ist etwas jünger als Sie, nicht wahr?«
Vor Unglauben verschluckte ich mich, als ich diese Frage hörte. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Sebastian war tausend Jahre alt!
»Entschuldigen Sie. Ich sollte solche Dinge wohl besser nicht sagen, aber Sie müssen wissen, dass ich immer mehr ältere Frauen wie Sie sehe, die jüngere Männer haben.«
Was sollte denn das nun wieder heißen? Ich war der Meinung, dass Sebastian und ich in etwa gleich alt wirkten. Etwas eigenartig war dagegen, dass Mátyás allmählich älter aussah als Sebastian. Unwillkürlich berührte ich mein Gesicht. War ich etwa gealtert, nur weil ich darüber nachgedacht hatte, mich von Lilith zu trennen?
Ich war noch immer ganz aufgewühlt wegen dieser Bemerkung, ich sei eine »ältere Frau«, als der Pfleger meinen Rollstuhl gut gelaunt neben einem künstlichen Gummibaum in der Lobby parkte und die Bremsen feststellte. Mit einem Mal fühlte ich mich alt und gebrechlich.
Durch große, von der Decke bis zum Boden reichende Fenster konnte ich auf die kreisförmige, stellenweise überdachte Auffahrt zum Haupteingang schauen. Ein paar Leute
saßen auf den unverwüstlich wirkenden Sofas und blätterten in monatealten, zerfledderten Ausgaben von Newsweek und Sierra Club Watch. Ein grauhaariger Mann wurde zu mir geschoben, die beiden Pfleger nickten sich zu. »Was meinen Sie denn, wie alt ich bin?«, fragte ich den jungen Pfleger.
»Oh, keine Ahnung. Vielleicht fünfunddreißig?«
Also ehrlich, das war nun aber wirklich zu viel des Guten, auch wenn ich die Dreißig schon seit einer Weile überschritten hatte! In diesem Moment fuhr Sebastian vor dem Eingang vor, und ich versuchte, ihn aus dem Blickwinkel des Krankenpflegers zu betrachten. Die Lederjacke, der schlanke Körper, das Leuchten in seinen Augen, das lange wallende Haar – ja, Sebastian konnte mühelos für einen Mann Anfang zwanzig durchgehen.
Dann war ich also jetzt unsterblich, und trotzdem sah es so aus, als vernaschte ich am liebsten Teenager? Na, wunderbar.
»Du guckst so mürrisch«, meinte Sebastian und nahm meine Hand, um mir beim Aufstehen zu helfen.
»Ich schwöre dir, du siehst jeden Tag jünger aus.«
Der Pfleger nickte zustimmend, dann löste er die Bremsen und schob den Rollstuhl zurück in einen der zahllosen Gänge, die sich durch das Gebäude zogen.
»Das macht deine Liebe«, sagte Sebastian und küsste mich auf den Kopf.
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