Garou
wenn man Dinge sah, die einem gefielen, nahm man sie einfach mit. Die Schafe selbst hatten auf ihren Wanderungen viele attraktive Sachen gesehen (einmal sogar einen dicken Sack Rüben), aber weil sie kein Auto hatten, nützte es ihnen meist nicht viel. Bei dem Häher war das anders - mit seinem großen Auto konnte er Silber und Rüben holen, so viel er wollte.
Hinter ihnen wurde das Schäferwagenfenster gekippt, und einige von Mamas unergründlichen Gerüchen und Rebeccas aufgekratzte Stimme entwichen ins Freie.
»...nicht einfach«, sagte Rebecca. »Aber eigentlich ist alles in Ordnung. Naja, vielleicht nicht in Ordnung, Schwarzarbeit ist nicht wirklich in Ordnung, aber es ist nicht das, du weißt schon. Und ein bisschen kann ich ihn auch verstehen, er hat mir alles erklärt. Sein Vater hat ihm nichts als Schulden hinterlassen, und das Schloss verschlingt Unsummen. Ich bin wirklich froh, dass er mir das alles erzählt hat.«
»Wenn es stimmt«, sagte Mama. »Ich könnte ja die Karten ... lass das Fenster noch ein bisschen offen! Du musst zugeben, dass dieser Hund streng riecht.«
»Nicht halb so schlimm wie deine Räucherstäbchen«, sagte Rebecca. »Und es kommt kalt rein. Warum sollte es denn nicht stimmen?«
»Naja«, sagte Mama. »Wenn er ein psychopathischer Irrer ist, dann stimmt es eben nicht.«
Mit einem klagenden Scharnierlaut klappte das Schäferwagenfenster wieder zu.
Die Schafe guckten hinüber zum Schloss, das nur dastand wie immer und rein gar nichts verschlang. Der Häher hatte Rebecca wieder einmal gründlich an der Nase herumgeführt. Aber wenigstens hatte sie noch eine Nase!
Der Himmel war dunkler geworden und der Mond bleicher, heller und voller. Noch eine Nacht oder höchstens zwei, und er würde rund sein, vollkommen rund. Die Schafe spürten, wie ihnen das Mondlicht durch das Fell rann wie Wasser und dabei auf der Haut kribbelte.
Maple dachte an den Häher, wie er Rebecca am Waldrand eine schimmernde Karte falschen Silbers in die Hand gedrückt hatte, und an den Werwolfsjäger, der mit echtem Silber auf die falschen Menschen schoss.
»Es ist ein Trick!«, blökte sie plötzlich.
»Was?«, fragte Maude.
»Der Häher!«, blökte Maple. »Er kennt den Wald. Sein Vater ist durch eine Silberkugel gestorben. Er findet, dass es zu viele Rehe gibt. Er hat Angst vor der Polizei. Er hat Angst vor Tess - und dann wurde Tess vergiftet. Er hat Fenster im Schloss, alle Fenster, und durch diese Fenster kann er hinunter auf die Weide gucken und sehen, so viel er will. Und damit ihm niemand auf die Schliche kommt, verteilt er falsches Silber! Damit ihn der Werwolfsjäger nicht erkennt und es mit echtem Silber versucht!«
Die Schafe schwiegen beeindruckt. Miss Maple war wirklich das klügste Schaf der Herde!
»Und jetzt?«, fragte Cloud.
»Wir hauen ab!«, blökte Ramses.
»Mit dem Auto?«, fragte Lane.
»Bloß nicht!«, sagte Zora.
»Durch den Wald?«, fragte Cordelia zweifelnd.
»Durch das Labyrinth?«, fragte Heide. Mopple hatte ihnen von diesem Rind erzählt, und obwohl sie es nicht so ganz verstanden hatten, wollte niemand von ihnen durch ein Rind hindurch. Bis übermorgen saßen sie hier fest, direkt vor der Nase des Garou!
»Wenn wir nicht verschwinden können - dann muss eben der Garou verschwinden!«, blökte Ramses kühn.
Die anderen sahen ihn erstaunt an.
»Ich meine...irgendjemand muss doch...« Ramses guckte ein bisschen erschrocken in die Runde. Den anderen gefiel der Gedanke, den Garou so einfach verschwinden zu lassen. Andererseits ... wie schwer war es schon gewesen, Yves verschwinden zu lassen - und Yves hatte sich wenigstens kalt, steif und reglos verhalten. Der Häher lief herum, einen Wolf im Leib, und keines der Schafe hätte sich auch nur in seine Nähe getraut.
»Wir könnten ihn zu einem Loch locken«, sagte Zora. »Vielleicht fällt er dann hinein!«
Aber die Schafe hatten kein Loch, das groß genug für den Häher gewesen wäre. Das größte Loch, das sie kannten, lag auf freiem Feld hinter dem Schäferwagen, und nicht einmal das Winterlamm passte hinein.
»Vielleicht muss Mopple nur wieder eine Karte fressen!«, sagte Lane. »Die richtige Karte.«
Wenn sie zurückdachten, hatte die Sache mit den Karten immer hervorragend funktioniert.
Maple dachte an ihre eigene, wenig ermutigende Erfahrung mit Mamas Karten, zuerst an den Geschmack, mehlig und hart und bitter zugleich, und dann an das Bild, den Turm und die Menschen, die durch die Luft flogen, und wollte
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