Garou
Und diesmal - seltsamerweise - hob sie jeden Zigarettenstummel sorgfältig aus dem Schnee und steckte ihn in eine Plastiktüte.
Die Schafe hatten versucht, Ideen zur Rettung Rebeccas zu sammeln, aber ihr bester - und bisher einziger - Plan war gewesen, »Rebecca!« in den Wald hineinzublöken. Die Sache war schnell langweilig geworden, und Miss Maple ermittelte weiter.
»Vielleicht wollten sie der einzige Garou sein?«, sagte Ramses. »Vielleicht war der Häher ein Konkurrent, und deshalb musste er weg?«
Maple schüttelte den Kopf. »Die Spaziergänger wollten nicht sein wie der Garou. Sie wollten nur, dass die Rehe nach Garou aussehen. Wahrscheinlich glauben sie gar nicht an einen echten Garou. Und nach allem, was Othello erzählt hat, macht ihnen das Garou-Spielen auch keinen besonderen Spaß. Vielleicht wollten sie ja nur, dass der Häher auch nach Garou aussieht! Vielleicht hatten sie es von Anfang an nur auf den Häher abgesehen!«
»Na und?«, blökte Heide.
Maple ließ die Ohren hängen. Heide hatte Recht. Was nützte es zu wissen, was die Spaziergänger taten? Diesmal brauchten sie eine Schäferin.
»Wir sollten Rebecca suchen gehen«, sagte sie.
»Aber wenn nicht einmal die Hunde sie im Wald riechen können ...«, sagte Maude mutlos.
Die anderen blökten zustimmend. Niemand wollte noch mal in den Wald.
Der Ziegenhirt fütterte drüben auf der Nachbarweide seine Ziegen mit Rüben, und die Schafe sahen teilnahmslos zu, zu vollgestopft und deprimiert für den üblichen Futterneid.
»Wir wissen etwas, was die Hunde nicht wissen!«, sagte Miss Maple mit glänzenden Augen.
Die anderen hörten auf wiederzukäuen und sahen sie an.
Die Tür.
Die Tür und das Metallbett.
Die Tür und das Metallbett waren die einzigen Dinge hier, die nicht nach Schloss aussahen, sondern nach Gefängnis. Die einzigen Dinge, die nicht logen.
Das Metallbett war am Fußboden festgeschraubt.
Die Tür war gepolstert und hatte nicht einmal einen Knauf.
Nun, da sie verstanden hatte, dass hier nichts voranging, versuchte Rebecca zurückzugehen. Zurück in den Wald. Sie war wirklich im Wald gewesen, da war sie sich sicher. In einem echten Winterwald, bewegt und sonnig und unendlich schön. Alles Bewegte war schön. Die Sonne, die über den Parkettboden wanderte, und der Himmel, der seine Farbe änderte, eine Weile ins immer tiefere Blau, dann auf einmal grau und hell und dann düster und rosig, und ihre Schafe unten auf der Weide natürlich. Unbewegte Dinge, die schön sein wollten, taten so, als würden sie sich bewegen, wie die Faune an der Decke, die zu springen schienen und es doch nicht taten.
Aber darum ging es nicht, nicht wahr? Sie war im Wald gewesen, mit Maurice. Und dann war sie dem Fuchs gefolgt, nur kurz, doch als sie sich umdrehte, war Maurice weg gewesen. Der Hohlweg hatte sich gekrümmt und dann geteilt, und sie konnte nicht weit sehen. Und es gab so viele Spuren im Schnee - von der Jagdpartie wahrscheinlich -, dass sie die seinen nicht finden konnte. Hatte sie Angst gehabt? Ja. Sie hatte es sich nicht gleich eingestanden, aber schon da hatte sie Angst gehabt. Sie war eine ganze Weile lang Hohlwege entlanggestolpert und hatte nach Maurice gerufen. Und dann? Und dann?
Der Wald verlor sich im Nebel.
Nein, doch nicht. Noch nicht! Irgendwann war der Ziegenhirt vor ihr gestanden. Er schien nicht überrascht, sie zu sehen - als hätte er sie schon lange beobachtet, und Rebecca hatte sich einen Moment lang sehr gefürchtet. Aber dann hatte der Hirt gegrinst und einfach nur freundlich ausgesehen. Er hatte ihr gewinkt, ihm zu folgen, und Rebecca war erleichtert hinter ihm hergelaufen, nach Hause. Nach Hause?
Sie war nicht zu Hause. Sie war im dritten Stock. Was war dann passiert? Was?
»Er geht in den Wald!«, seufzte Maude. Tatsächlich.
Nachdem der Ziegenhirt mit dem Rübenfüttern fertig geworden war, war er zuerst eine Zeit lang außen an der Hofmauer entlanggegangen. Doch statt irgendwann durch eine der kleinen Holztüren zu verschwinden, hatte er sich links in die Ginsterbüsche geschlagen und stapfte nun durch das Niemandslandjenseits der Hofmauer Richtung Wald.
Maude, Othello und Maple hinterher.
Anders als Mama, Malonchot und die Hunde wussten die Schafe von Lane, dass der letzte Mensch, der Rebecca im Wald bemerkt hatte, nicht der Häher war, sondern der Ziegenhirt. Sie hatten beschlossen, ihn zu beschatten.
Er war ihre beste Spur. Ihre einzige Spur.
Trotzdem wäre es ihnen lieber gewesen,
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